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Ich glaube es war Wittgenstein, der etwas sagte, wie:
Von einer Sache zu sagen, sie sei sich selbst gleich, ist
eine Tautologie, von zwei verschiedenen Sachen zu sagen,
sie seien gleich, ist falsch.
Wir haben aber in der Sprache das Phänomen, daß wir eine Sache
mit zwei verschiedenen Weisen bezeichnen können. Im Falle der
Venus kann man daher sagen:
Der Morgenstern ist der gleiche Planet wie der
Abendstern.
Die verschiedenen sprachlichen Bezeichnungen können verschiedene
Wege der Erkenntnis der Sache in der Erfahrung wiederspiegeln.
Oder zwei unterschiedlich erklärte (definierte) Begriffe könnten
in einem Modell dieselbe Entität bezeichnen, was bei der
Definition der Begriffe zunächst nicht offensichtlich sein muß.
Dann gibt es das Wort "gleich" als Kurzform von "gleichwertig"
"~". Eine Funktion induziert eine Äquivalenzrelation in ihrem
Definitionsbereich, vermittels x ~ x1 :<==> f(x)=f(x1).
Betrachtet man beispielsweise die Abbildung, die einem Term
seinen Wert zuordnet, so ist der Term "2+2" dem Term "2*2"
zwar nicht gleich, aber gleichwertig.
Nun sagt man aber zu "gleichwertig" auch manchmal kurz
"gleich", also "2+2 ist gleich 2*2". Will man dann wirklich
von Gleichheit der Terme sprechen, so verwendet man
"dasselbe". Also "'2+2' ist gleich '2*2', aber '2+2' ist nicht
dasselbe wie '2*2'."
Aber auch Terme können wieder hinsichtlich einer anderen
Äquivalenzrelation identifiziert werden, denn der Term "2+2"
ist dem Term "2 +2" gleich, obwohl die Zeichenfolgen
unterschiedlich sind.
Daher kann man, wenn man genau sprechen will, die
Unterscheidung zwischen "das gleiche" und "dasselbe" aufgeben
und statt dessen jeweils die Gattung und damit den Begriff
genau angeben, also:
- Der Wert "2+2" ist gleich dem Wert "2*2".
- Der Term "2+2" ist gleich dem Term "2+ 2".
- Die Zeichenfolge "2+2" ist gleich der Zeichenfolge
"2+2".
Der Unterschied zwischen "das gleiche" und "dasselbe" wird
gerne gemacht, wenn es im Kontext zwei verschiedene
Äquivalenzrelationen gibt, um dann mit "das gleiche" einen
bezug auf die gröbere und mit "dasselbe" einen Bezug auf die
feinere Äquivalenzrelation zu markieren.
Das typische Beispiel ist wohl
"Du hast dasselbe Kleid wie Deine Freundin an!"
"Nein - ich habe das gleiche Kleid wie sie an!"
Hier beizeichnet "das gleiche" für die als zweite sprechende
Person Gleichheit hinsichtlich der Äquivalenzrelation "vom
gleichen Produktionsmuster" (Schnitt, Art des Stoffes, Art des
Musters), "dasselbe" bezeichnet Identität einer physikalischen
Sache im Sinne ihres verfolgbaren Wegs in der Raumzeit.
Aber diese Zuordnung ist nicht zwingend, so daß eine
Verbesserung von jemandem, der "das gleiche" oder "dasselbe"
anders verwendet, als man dies selber tun würde, oft unnötig
und nicht immer zwingend ist. Schließlich kann man meist
verstehen, was gemeint ist. Auch kann der Sprecher mit einem
gewissen Recht "das gleiche" und "dasselbe" immer so
definieren, daß seine Verwendung richtig ist.
Aber auch die Identität eines einzelnen Kleides enthält nicht
selbstverständliche Selbstidentität, sondern eine
interpretierende Äquivalenzrelation. Ist der ehemalige
Bundeskanzler Gerhard Schröder noch derselbe Mensch, wie der
Juso-Vorsitzende Gerhard Schröder? Wie viele Atome, die damals
seinen Körper ausmachten, sind inzwischen durch Stoffwechsel
ausgetauscht worden?
Sind zwei Bosonen, die in allen Quantenzahlen übereinstimmen,
dieselbe Sache?
Also, man darf auf diesem Gebiete nichts für
selbstverständlich halten, sondern sollte die verwendeten
Begriffe und Äquivalenzrelationen möglichst explizit angeben
oder sich ihrer wenigsten bewußt sein.
Heraklit sagte:
"Niemand kann zweimal in den gleichen Fluß steigen, denn
immer andere Wasser strömen beständig nach."
Kratylos soll geschrieben haben:
"Niemand kann auch nur einmal in den gleichen Fluß steigen."
Und Wittgenstein wurde zugeschrieben:
"Der Mann, der sagte, man könne nicht zweimal in den
gleichen Fluß steigen, sagte etwas Falsches; man kann
zweimal in den gleichen Fluß steigen."
Diese Zitate zeigen auch einmal wieder, daß auf diesem Gebiet
keine Einigkeit über die Begriffe besteht.
Tatsächlich geht es aber darum, was man unter einem Fluß
überhaupt versteht, insbesondere wann zwei Beschreibungen von
Flüssen den gleiben Fluß beschreiben.
Einerseits versteht man unter einem Fluß eben das Wasser,
welches gerade in einem den Fluß identifizierenden Flußbette
ist. Andererseits wird der Fluß auch oft als durch sein Bett
identifiziert und nicht durch die als individuell markierbar
angenommenen Wasserteilchen darin.
Je nach der Definition von »Flußß ist es also egal, ob man
"den gleichen" oder "denselben" Fluß meint: Man /kann/ zweimal
in den gleichen (oder "denselben") Fluß steigen.
Manchmal wird behaupt: "Mutter und Tochter benutzen dasselbe
Parfum" bedeute immer »es gibt nur einen Flacon, den sich
Mutter und Tochter teilen«
Das ist aber die von mir nicht geschätzte starre
Interpretation, die ihre Subjektivität unbewußt, diese als
objektiv richtig vermeint.
Tatsächlich kann man aber genauso gut den Flakon als Klasse
ansehen ("zwei Parfümtropfen sind gleich, wenn sie aus
demselben Flakon kommen") und als individuell nur den gleichen
Tropfen ansehen (die Tochter kratzt die Flüssigkeit vor dem
Verdunsten schnell wieder von ihrer Mutter Haut und benutzt
diese - nur dann benutze sie /dasselbe/ Parfüm wie ihre
Mutter).
Weil es eben subjektiv ist, was man als Klasse und was als
Individuum ansieht, wie ich hoffe mit obigem Beispiel gezeigt
zu haben, sollte man es anderen zugestehen, ihre eigene
Auffassung davon zu haben. Deswegen würde ich niemanden
korrigieren, der "dasselbe" oder "das gleiche" irgendwie
verwendet, solange ich verstehen kann, was er meint.
Viele mathematische Modelle enthalten heute ja nur noch
Mengen, und für die kann man Gleichheit dann stets extensional
definieren:
»x = y« bedeutet: »e ist Element von x« hat den Wahrheitswert
von »e ist Element von y« für alle e