Matthias Opatz
2017-03-08 12:15:19 UTC
Die Duden-Redaktion widmet sich vorgestern im jüngsten ihrer monatlichen
E-Mail-Rundbriefe dem geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Mit einer
Online-Quelle kann ich nicht dienen, da Duden sein Newsletter-Archiv
<http://www.duden.de/newsletter/archiv> seit einigen Monaten nicht mehr
aktualisiert hat. Ich zitiere daher aus meinem Postfach.
| *Ist die Bezeichnung „Gästin“ korrekt und was hat sie mit den Brüdern*
| *Grimm zu tun?*
| Längst hat die weibliche Emanzipation auch in die Märchenwelt Einzug
| gehalten – sprachlich zumindest. In der Geschichte von Ingo Siegner
| über den „kleinen Drachen Kokosnuss“, der in die Schule kommt,
| begegnen uns neben vielen kleinen Drachenjungen auch Drachinnen.
| Sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf eine spannende Sprachfrage, die
| die korrekte Bildung des weiblichen Pendants zu einem männlichen
| Wesen betrifft. Das ist einfach, solange wir uns mit dem üblichen
| Anhängen eines -in behelfen können. So wird aus dem Zuhörer die
| Zuhörerin und aus dem Kunden die Kundin. […]
|
| Wie aber sprechen wir von einem weiblichen Gast? Auch hier die
| übliche in-Form zu wählen und sich über eine Gästin zu freuen,
| wird von allerhöchster Sprachwahrerinstanz als korrekt bezeichnet.
| Im allgemeinen Sprachgebrauch aber irritiert diese Form. Dabei ist
| sie keineswegs weiblicher Sprachemanzipation geschuldet – ganz im
| Gegenteil: Gästin gehört zu den weiblichen Formen, die – wie auch die
| Engelin oder die Geistin – bereits im Wörterbuch von Jacob und Wilhelm
| Grimm aufgeführt und mit zahlreichen Belegstellen unterfüttert wurden.
| Auf dem Weg vom späten 19. ins 21. Jahrhundert war sie aus der
| Alltagssprache verschwunden: Umso erfreulicher, dass sie jetzt
| wiederentdeckt wurde und ihren Sprachplatz wiedererobert.
Das wiederum soll zitiert sein aus "Duden – Du hast das Wort, Schätzchen!"
(Berlin, März 2017).
Nun, wenn Gästin und Geistin (und, um mal auf den Buchtitel Bezug zu
nehmen, auch Schatzin) üblich werden, dann ist es eben so, da nützt
auch mein eigener abweichender Sprachgebrauch nichts. Ich muss dann
hinnehmen. Ich bezweifle aber, daß aktuell aufkommende Gästinnen und
Geistinnen in relevantem Ausmaß auf bewußten Grimm-Retro-Sprachgebrauch
zurückgehen.
Und bezweifle auch, daß dieserart "Wiederentdeckung" allen möglichen
veralteten Sprachgebrauchs (etwa aus der Grimm-Kiste) zum Zwecke der
"Wiedereroberung ihres Sprachplatzes" generell ein Wert an sich ist.
Derlei scheint mir eher ein (in meinen Augen dürres) Argument, um von
einem (ich meine: kleinen) Teil der Sprachgemeischaft erwünschte und
mit eher politisch motiviertem Verbesserunganspruch angestoßene
Sprachentwicklung zu rechtfertigen (Schein-Retro).
Mein subjektiver Eindruck ist eher, daß die Bereitschaft zu sprachlicher
Differenzierung in mehr Fällen abnimmt als zunimmt. So haben Dates und
Termine inzwischen Zusammenkünfte, Verabredungen, Stelldicheins,
Rendezvous, Geschäftstreffen und viele mehr bereits rar gemacht (oder
die hier schön erörterten Tickets verdrängen zehn andere Bezeichnungen).
Und eine "allerhöchste Sprachinstanz", die irgendwas als korrekt bezeichnet
oder nicht, ist für mich immer noch nur eine (von mir aus kompetente)
Meinung oder Empfehlung als eine irgendwie verbindliche Norm.
Ein anderer Abschnitt widmet sich angeblich der Sprache und verschweigt,
dass es hier eigentlich nur um /Schrift/sprache gehen kann:
| *Geschlechtergerechter Sprachgebrauch – der Schrägstrich*
|
| Die Doppelnennung femininer und maskuliner Formen (Kolleginnen und
| Kollegen, Schülerinnen und Schüler, Assistentin oder Assistent, jede und
| jeder) ist die höflichste und eindeutigste Variante der sprachlichen
| Gleichstellung. Sie ist vor allem in der Anrede üblich.
|
| Die häufigste und zugleich von den amtlichen Rechtschreibregeln
| abgedeckte verkürzte Form der sprachlichen Gleichstellung der
| Geschlechter war bisher die Variante mit Schrägstrich und Bindestrich:
| Mitarbeiter/-innen, Lektor/-in, Buchhalter/-innen. Dabei ist zwar der
| Bindestrich den amtlichen Rechtschreibregeln zufolge nach wie vor
| vorgeschrieben, allerdings wurde und wird aus typografischen Gründen
| häufig auf ihn verzichtet: Mitarbeiter/innen, Lektor/in.
|
| Der Verwendung der Schrägstrichvariante sind aus grammatischen Gründen
| jedoch häufig Grenzen gesetzt. Wortpaare, bei denen die feminine Form
| nicht nur durch Anhängen einer Endung an die maskuline gebildet wird,
| lassen sich nicht einfach durch den Schrägstrich verkürzen. In solchen
| Fällen sollten alle Formen ausgeschrieben werden: Kollegen und
| Kolleginnen, Beamte und Beamtinnen, Bischöfe und Bischöfinnen.
| Zu beobachten ist auch, dass sich der Sprachgebrauch in letzter Zeit von
| starren Regeln loslöst. Aus praktischen Gründen werden Doppelformen
| häufig wie ein Gesamtwort behandelt und entsprechend unkompliziert
| flektiert: den Mitarbeiter/innen, den Kolleg/innen.
Sprache, die nur fürs Schreiben und Lesen gut ist, aber nicht fürs
Sprechen, hat in meinen Augen keinen vollen Gebrauchswert, sondern taugt
eben nur rein zweckgebunden. Darauf muss mMn für eine seriöse Erörterung
- auch seitens des Dudens! - hingewiesen werden.
Matthias
E-Mail-Rundbriefe dem geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Mit einer
Online-Quelle kann ich nicht dienen, da Duden sein Newsletter-Archiv
<http://www.duden.de/newsletter/archiv> seit einigen Monaten nicht mehr
aktualisiert hat. Ich zitiere daher aus meinem Postfach.
| *Ist die Bezeichnung „Gästin“ korrekt und was hat sie mit den Brüdern*
| *Grimm zu tun?*
| Längst hat die weibliche Emanzipation auch in die Märchenwelt Einzug
| gehalten – sprachlich zumindest. In der Geschichte von Ingo Siegner
| über den „kleinen Drachen Kokosnuss“, der in die Schule kommt,
| begegnen uns neben vielen kleinen Drachenjungen auch Drachinnen.
| Sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf eine spannende Sprachfrage, die
| die korrekte Bildung des weiblichen Pendants zu einem männlichen
| Wesen betrifft. Das ist einfach, solange wir uns mit dem üblichen
| Anhängen eines -in behelfen können. So wird aus dem Zuhörer die
| Zuhörerin und aus dem Kunden die Kundin. […]
|
| Wie aber sprechen wir von einem weiblichen Gast? Auch hier die
| übliche in-Form zu wählen und sich über eine Gästin zu freuen,
| wird von allerhöchster Sprachwahrerinstanz als korrekt bezeichnet.
| Im allgemeinen Sprachgebrauch aber irritiert diese Form. Dabei ist
| sie keineswegs weiblicher Sprachemanzipation geschuldet – ganz im
| Gegenteil: Gästin gehört zu den weiblichen Formen, die – wie auch die
| Engelin oder die Geistin – bereits im Wörterbuch von Jacob und Wilhelm
| Grimm aufgeführt und mit zahlreichen Belegstellen unterfüttert wurden.
| Auf dem Weg vom späten 19. ins 21. Jahrhundert war sie aus der
| Alltagssprache verschwunden: Umso erfreulicher, dass sie jetzt
| wiederentdeckt wurde und ihren Sprachplatz wiedererobert.
Das wiederum soll zitiert sein aus "Duden – Du hast das Wort, Schätzchen!"
(Berlin, März 2017).
Nun, wenn Gästin und Geistin (und, um mal auf den Buchtitel Bezug zu
nehmen, auch Schatzin) üblich werden, dann ist es eben so, da nützt
auch mein eigener abweichender Sprachgebrauch nichts. Ich muss dann
hinnehmen. Ich bezweifle aber, daß aktuell aufkommende Gästinnen und
Geistinnen in relevantem Ausmaß auf bewußten Grimm-Retro-Sprachgebrauch
zurückgehen.
Und bezweifle auch, daß dieserart "Wiederentdeckung" allen möglichen
veralteten Sprachgebrauchs (etwa aus der Grimm-Kiste) zum Zwecke der
"Wiedereroberung ihres Sprachplatzes" generell ein Wert an sich ist.
Derlei scheint mir eher ein (in meinen Augen dürres) Argument, um von
einem (ich meine: kleinen) Teil der Sprachgemeischaft erwünschte und
mit eher politisch motiviertem Verbesserunganspruch angestoßene
Sprachentwicklung zu rechtfertigen (Schein-Retro).
Mein subjektiver Eindruck ist eher, daß die Bereitschaft zu sprachlicher
Differenzierung in mehr Fällen abnimmt als zunimmt. So haben Dates und
Termine inzwischen Zusammenkünfte, Verabredungen, Stelldicheins,
Rendezvous, Geschäftstreffen und viele mehr bereits rar gemacht (oder
die hier schön erörterten Tickets verdrängen zehn andere Bezeichnungen).
Und eine "allerhöchste Sprachinstanz", die irgendwas als korrekt bezeichnet
oder nicht, ist für mich immer noch nur eine (von mir aus kompetente)
Meinung oder Empfehlung als eine irgendwie verbindliche Norm.
Ein anderer Abschnitt widmet sich angeblich der Sprache und verschweigt,
dass es hier eigentlich nur um /Schrift/sprache gehen kann:
| *Geschlechtergerechter Sprachgebrauch – der Schrägstrich*
|
| Die Doppelnennung femininer und maskuliner Formen (Kolleginnen und
| Kollegen, Schülerinnen und Schüler, Assistentin oder Assistent, jede und
| jeder) ist die höflichste und eindeutigste Variante der sprachlichen
| Gleichstellung. Sie ist vor allem in der Anrede üblich.
|
| Die häufigste und zugleich von den amtlichen Rechtschreibregeln
| abgedeckte verkürzte Form der sprachlichen Gleichstellung der
| Geschlechter war bisher die Variante mit Schrägstrich und Bindestrich:
| Mitarbeiter/-innen, Lektor/-in, Buchhalter/-innen. Dabei ist zwar der
| Bindestrich den amtlichen Rechtschreibregeln zufolge nach wie vor
| vorgeschrieben, allerdings wurde und wird aus typografischen Gründen
| häufig auf ihn verzichtet: Mitarbeiter/innen, Lektor/in.
|
| Der Verwendung der Schrägstrichvariante sind aus grammatischen Gründen
| jedoch häufig Grenzen gesetzt. Wortpaare, bei denen die feminine Form
| nicht nur durch Anhängen einer Endung an die maskuline gebildet wird,
| lassen sich nicht einfach durch den Schrägstrich verkürzen. In solchen
| Fällen sollten alle Formen ausgeschrieben werden: Kollegen und
| Kolleginnen, Beamte und Beamtinnen, Bischöfe und Bischöfinnen.
| Zu beobachten ist auch, dass sich der Sprachgebrauch in letzter Zeit von
| starren Regeln loslöst. Aus praktischen Gründen werden Doppelformen
| häufig wie ein Gesamtwort behandelt und entsprechend unkompliziert
| flektiert: den Mitarbeiter/innen, den Kolleg/innen.
Sprache, die nur fürs Schreiben und Lesen gut ist, aber nicht fürs
Sprechen, hat in meinen Augen keinen vollen Gebrauchswert, sondern taugt
eben nur rein zweckgebunden. Darauf muss mMn für eine seriöse Erörterung
- auch seitens des Dudens! - hingewiesen werden.
Matthias