Discussion:
Literatur und Kritik
(zu alt für eine Antwort)
Stefan Ram
2024-10-07 14:53:26 UTC
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Newsgroups: de.etc.sprache.deutsch,de.rec.buecher

Literaturkritik ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.
Wahrscheinlich so wie die Relativitätstheorie für einen
Literaturkritiker!

Bücher können für mich zwei Funktionen erfüllen:
- belehren und
- die Stimmung modulieren (unterhalten, erregen, . . .).

Bei einem Belehrungsbuch steht auf der Klappe: "Dieses
Buch führt in die Grundlagen der deutschen Grammatik ein.".
Solche Sachtexte werden von der Literaturkritik oft
ganz ignoriert.

Ein stimmungsmodulierendes Buch könnte als Klappentext
haben: "Eine herzzerreißend traurige Geschichte . . .".
Jemand kauft das Buch, fängte an zu lesen und dann bald
zu weinen - also was auf der Klappe versprochen wurde,
das wurde vom Buch erfüllt.

Damit wären beide Bücher in Ordnung, weil sie das halten,
was sie versprochen haben.

ABER JETZT kommt die Literaturkritik und sagt, "JA, ABER
das Buch verfällt in kitschige Klischees!". Oder eben so,
wie damals jemand beim Bachmann-Preis sagte: "Wir haben
gelacht, aber wir haben unter unserem Niveau gelacht.".

Was gibt es noch zu kritisieren, wenn ein Buch das hält,
was es auf seiner Klappe versprochen hat?
Markus Ermert
2024-10-07 17:18:16 UTC
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Post by Stefan Ram
Newsgroups: de.etc.sprache.deutsch,de.rec.buecher
Was gibt es noch zu kritisieren, wenn ein Buch das hält,
was es auf seiner Klappe versprochen hat?
Reflexion und Debatte über das Gelesene und seine Umstände sind ein
wichtiger Teil der Literaturkultur. Literaturkritik ist eine der gehobenen
einschlägigen Kulturtechniken.

Literatur entsteht erst durch (immer subjektive) Rezeption und die damit
verbundenen Denk-, Lern- und Kommunikationsprozesse. Literaturkritik bildet
dazu einen Rahmen
Post by Stefan Ram
Literaturkritik ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.
Weil Du mathematisch-naturwissenschaftlich geprägte Erwartungshaltungen
hast.
Detlef Meißner
2024-10-07 17:40:37 UTC
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Post by Stefan Ram
Was gibt es noch zu kritisieren, wenn ein Buch das hält,
was es auf seiner Klappe versprochen hat?
Ein Buch kann niemals für alle Leser sein Versprechen erfüllen.
Deshalb ist es wichtig, bei der Kritik (Buch, Film, Musik) genauer zu
erläutern, ob und wie das Versprechen erfüllt wurde - oder auch nicht.

Also eine Orientierung *vor* dem Lesen eines Buches.

Man kann sich eine Kritik allerdings auch nachträglich zu Gemüte führen.
Dann weiß man, ob man mit seiner eigenen Bewertung daneben gelegen hat
und ob man zum Kritiker geeignet ist. :-)

Detlef
--
Für objektiv wird man gehalten, wenn man den Leuten recht
gibt. (Crignis)
Lars Gebauer
2024-10-07 19:26:18 UTC
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Post by Stefan Ram
- belehren und
- die Stimmung modulieren (unterhalten, erregen, . . .).
Du scheinst nur ziemlich schlechte Bücher zu kennen.

Gute Literatur transprtiert bzw. vermittelt Gedanken, Ideen, Visionen,
... und soll insofern auch als Anregung dienen, sich um das wie und
warum in der Gesellschaft eigene Gedanken zu machen. Verbunden auch ein
bisschen mit der Hoffnung, daß sich irgendetwas ändert, ggfls. sogar
bessert, wenn nur genügend Menschen diese Gedanken teilen.

Genau an dieser Stelle setzt Literaturkritik an: Was taugen die Gedanken
und Visionen des Autoren? Realistisch, abgehoben, banal? Was sonst? Ist
es dem Autoren gelungen, klar zu formulieren? Stringenz? Bleiben Fragen
offen? Welche? Warum? Usw.usw.

Neben dieser ganzen inhaltlichen Kritik gibt es natürlich noch die
ganzen stilkritischen Fragen. Da geht es dann weniger um das /was/ als
vielmehr um das /wie/.
--
"Journalisten informieren, worüber die Bevölkerung informiert werden soll."
--re:publica24
Niemand hat gelacht.
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