Discussion:
übervorteilen
(zu alt für eine Antwort)
Stefan Schmitz
2009-11-22 14:30:17 UTC
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Als mir dieses Wort zum ersten Mal begegnete, verband ich damit das
Gegenteil seiner wirklichen Bedeutung.

Wegen der üblichen Verwendung der Vorsilbe "über" deutete ich
"jemanden übervorteilen" als "demjenigen größere Vorteile gewähren als
ihm zustehen".

Wie ist es zu erklären, dass tatsächlich das Gegenteil gemeint ist?
Walter Schmid
2009-11-22 14:42:03 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Als mir dieses Wort zum ersten Mal begegnete, verband ich damit das
Gegenteil seiner wirklichen Bedeutung.
Wegen der üblichen Verwendung der Vorsilbe "über" deutete ich
"jemanden übervorteilen" als "demjenigen größere Vorteile gewähren als
ihm zustehen".
Wie ist es zu erklären, dass tatsächlich das Gegenteil gemeint ist?
Laut neuestem Duden ist es das gar nicht. Du hast also recht!
(siehe dort unter "bevorteilen")

Des einen Nachteil ist des andern Vorteil. Vielleicht kommt es
von "über den Tisch ziehen" oder "übers Ohr hauen". Für zu
grossen Vorteil gab es das 'veraltete' Wort "bevorteilen".

Gruss

Walter
Frank Husel
2009-11-23 00:13:09 UTC
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Post by Walter Schmid
Post by Stefan Schmitz
Als mir dieses Wort zum ersten Mal begegnete, verband ich damit das
Gegenteil seiner wirklichen Bedeutung.
Wegen der üblichen Verwendung der Vorsilbe "über" deutete ich
"jemanden übervorteilen" als "demjenigen größere Vorteile gewähren als
ihm zustehen".
Es ist die Frage, ob es genug andere gleich konstruierte Verben gibt,
aus denen man das folgerichtig so herleiten kann oder sogar muss. A
priori ist nicht einzusehen, warum der (im Tätigkeitswort buchstäblich
enthaltene) "Vorteil" unbedingt beim Objekt liegen müsse und nicht
beim Urheber der Handlung /Subjekt.

Bei "bemitleiden" ist ja auch das Gefühl des Mitleids nicht das des
Bemitleideten, sondern des Subjekts der Handlung.
Post by Walter Schmid
Post by Stefan Schmitz
Wie ist es zu erklären, dass tatsächlich das Gegenteil gemeint ist?
Such mal nach anderen Beispielen. Es wird sich zeigen, ob du dann
immer noch derselben Meinung bist. Gesucht wären also Verben, die ein
Substantiv enthalten, am besten sogar solche mit gleicher Vorsilbe...
Post by Walter Schmid
Des einen Nachteil ist des andern Vorteil. Vielleicht kommt es
von "über den Tisch ziehen" oder "übers Ohr hauen". Für zu
grossen Vorteil gab es das 'veraltete' Wort "bevorteilen".
Dieses ist auch auch ein Wort, das nach seiner Konstruktion mit der
Vorsilbe be- einen irgendwie Beteiligten ausdrücklich zum Objekt der
Handlung macht: bevorraten, bemitleiden, beauftragen, ...


Grüße
Frank
Gunhild Simon
2009-11-23 08:50:44 UTC
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On 23 Nov., 01:13, Frank Husel <***@invalid.com> wrote:
...
Such mal nach anderen Beispielen. ...Gesucht wären also Verben, die ein
Substantiv enthalten, am besten sogar solche mit gleicher Vorsilbe...
...
Dieses ist auch auch ein Wort, das nach seiner Konstruktion mit der
Vorsilbe be- einen irgendwie Beteiligten ausdrücklich zum Objekt der
Handlung macht: bevorraten, bemitleiden, beauftragen, ...
Ein entscheidendes Kriterium bei "über'vorteilen" ist die Betonung,
die auf dem zweiten Wortteil liegt. Das bedeutet nicht nur formal
Untrennbarkeit, sondern interpretatorisch etwas Eigenes.

Es hat im Gegensatz zur anderen Betonungsform einen übertragenen
Charakter - sichtbar auch an vergleichbaren Verben mit
Bedeutungsunterschieden, z. B 'übersetzen - über'setzen, 'übergehen -
über'gehen, 'durchlaufen - durch'laufen, 'umfahren - um'fahren, je
nachem, wo der Betonungsakzent liegt.

Bei übervorteilen ließe sich ein solches Gegensatzpaar nur bilden,
wenn man über'vorteilen - 'überbevorteilen gegenüberstellte
Also bedeutet über in der betonten Variante etwas Konkretes, während
es in der unbetonten eine übertragene Bedeutung hat: über'vorteilen.

Sichtbar wird dies vielleicht an über'fordern - Über'forderung. Das
gibt es zwar metaphorisch, aber denkbar wäre eine figürliche
Bedeutung: jemand hat eine unzumutbare Mehrforderung: Das wäre
'überfordern, das entsprechende Substantiv wäre dann eine
'Überforderung.

Übergehen ließe sich vielleicht entsprechend anwenden:
Aus 'übergehen entsteht der 'Übergang, aus über'gehen entsteht das
Über'gehen, die Über'gehung.

Die konkreten Varianten sind deshalb selten, weil "über", "durch" oder
"um" eigentlich nicht allein stehen können. Sie benötigen ein Objekt
oder einen Bezug auf ein genanntes in Form von "da(r)-, hin-, her-".

Daher ist ihre Trennung nicht hochsprachlich.. Also "Komm endlich
über! (Mach zu!") oder "Denk da noch mal über nach!" (darüber) sind
umgangssprachlich (Südniedersachsen).

Gruß
Gunhild
Werner Tann
2009-11-23 12:44:32 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Wie ist es zu erklären, dass tatsächlich das Gegenteil gemeint ist?
"Vorteil" hatte in alter Zeit neben der uns bekannten Bedeutung auch
eine negative. Im Wort "übervorteilen" ist diese negative
Bedeutungsvariante heute noch erhalten.

Ausführlichst behandelt dies das Grimmsche Wörterbuch.
http://germazope.uni-trier.de/Projects/DWB

Zitat:
"Vorteil, m [...]
7) diese [positive] bedeutung wird dann mehr und mehr verschlimmert,
und grade in diesem sinne wird vorteil in der älteren sprache oft
gebraucht, auch mundartlich ist sie erhalten, [...] im engeren sinne
bezeichnet es unredlichen gewinn, lug und trug im erwerbsleben: irs
geytz, wuchers und allen vorteyl und finantzerey LUTHER 34, 2, 95 W.;
beschisz, vorteil, betrug ZWINGLI dtsche schr. (1828) 1, 323; so von
zinsen und wucher leben in allerley vorteil und buberey EBERLIN V.
GÜNZBURG 3, 167 ndr.; durch eigenen nutz und bösen vortheil
THURNEYSZER magna alchymia (1583) 70; heimliche tück und vortheil
LEHMAN floril. polit. (1662) 1, 237; mit allerhand vortheilen
hintergehen LEIBNIZ dtsche schr. (1838) 1, 257.

neuw vortheil, eigennutz und stoltz
jagen allzeit ihr eigen holtz
KIRCHHOF wendunm. 2, 295 Ö.;

da war kein mein und dein,
kein vorteil kein betrug
FLEMING dtsche ged. 1, 131" Zitat Ende.

Wer mal Mittelhochdeutsch gelernt hat, wird sich vielleicht erinnern,
daß "vorteilisch" betrügerisch bedeutet. Findet sich noch häufig im
frühen Neuhochdeutsch:

wer vortailisch ist,
prauchet vil tüeck und hinderlist
H. SACHS 2
[nach Grimm]

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