Post by Martin Gerdesein Ding verschaltet, tönt umgehend der Chor der Zünftler: "Laß das den
Fachmann machen; ohne Zunftbrief eine Steckdose installieren zu wollen,
Aha, sind wir hier nun in einer Plaudergruppe, wo wir auch
über nichtsprachliche Themen reden? - Ich weiß jetzt auch
nicht sofort, in welche Newsgroup das folgende besser paßt:
Also, dann möchte ich einmal darauf hinweisen, daß schon 1924
ein Büchlein von Mechtilde von Lichnowsky namens
»Der Kampf mit dem Fachmann« erschien, in dem sie sich
mit diesem Phänomen auseinandersetzt.
Allgemein scheinen Menschen, wenn man sie sich frei äußern
läßt, sich selbst (und ihre Gruppe) gerne selber aufzuwerten
und von Schuld freizusprechen, manchmal indem sie andere
abwerten und diesen Schuld zusprechen, und manchmal auch
indirekter, indem sie beispielsweise solche Themen
bevorzugen, die sie selber in gutem Licht erscheinen lassen.
Das sind die sogenannten »primitiven Abwehrmechanismen«.
Nicht immer hat dies die gewünschte Wirkung, denn der Hörer
weiß ja: »He is a poor man who has to blow his own trumpet«.
(»to blow his own trumpet« = »sein eigenes Loblied singen«)
Auf einigen Gebieten erbringen Experten keine besseren
Leistungen als Laien - hier fallen einem vielleicht zuerst
die Verwalter von Wertpapierfonds ein. Dennoch müssen diese
nicht nur wegen der im dritten Absatz geschilderten
Abwehrmechanismen eine Aura des Expertentums aufbauen,
sondern auch, um überhaupt ihr Geschäft machen zu können.
Daher sind Äußerungen zu ihrer Qualifikation unter Umständen
nicht epistemisch, sondern instrumental zu verstehen (also
als - oft mehr oder weniger verdeckte - Werbung). Wenn ein
Mann lügen muß, um seine Familie ernähren zu können, kann
dieses Lügen zwar insgesamt doch verwerflich sein, man kann
seine Motivation aber nachvollziehen.
Wenn man eine Arbeit von einem Elektrohandwerker ausführen
läßt, hat man aber wahrscheinlich unter Umständen wenigstens
jemanden, den man haftbar machen kann - und man ist selber
damit gegenüber Dritten entlastet. Bezahlt man einen Anwalt,
so zahlt man damit zu einem großen Teil dessen Haftungsrisiko.
Möglicherweise gibt es außerdem ja vielleicht doch etwas,
das die Elektrohandwerker normalerweise dabei besser machen
als ein durchschnittlicher Laie - und sie sind nur nicht in
der Lage dieses auf Anfrage auch zu verbalisieren.
Aus sprachlicher Sicht ist noch erwähnenswert, daß die
Begriffe »Fachmann« und »Experte« nicht geschützt sind, also
frei verwendet werden können. Aber Du beziehst dich oben
vermutlich auf Personen mit einem Gesellen- oder
Meisterbrief des Elektrohandwerks (oder Lehrlinge unter
Aufsicht eines Gesellen oder Meisters).
Es gibt natürlich auch Fälle, in denen man sich einem
ausgebildeten »Fachmann« lieber anvertraut als einem Laien -
etwa bei einem gehirnchirurgischen Eingriff - dies
vermutlich immer besonders dann gerne, wenn der Chirurg
davor schon mindestens einmal einen Eingriff dieser Art
erledigt hat.
Bei Wein ist es so: Was habe ich davon, wenn ich weiß, daß
Wein einer bestimmten Sorte bestimmten »Weinkennern«
besonders gut schmeckt, wenn es darum geht, daß er /mir/ gut
schmecken soll? Das letztere sollte ja eigentlich nur ich
selber beurteilen können.
Einige Antworten können Laien besser geben als Experten: Die
größten Städte eines Landes können Ausländer besser
aufzählen als Inländer - weil sie die kleineren Städte gar
nicht kennen. Musiker hören Musik eher mit dem Verstand,
analytisch, als emotional wie ein Laie. (Allgemein ist es
kennzeichnend für Experten, daß sie den Gegenstand eher
rational betrachten.) Umgekehrt könnte man sagen, daß ihnen
damit auch wieder etwas Empfinden abhanden gekommen sein
könnte.