Post by Rüdiger SilbererPost by Joachim PenseWenn jemand außerhalb der Mathemathematik das Wort "eineindeutig"
^^^^^^^^^^^^^^
Ich hab einige Zeit gebraucht, bis ich erfaßte was daran falsch ist.
Ging das anderen auch so?
Ja. Ich habe es sogar überhaupt nicht gemerkt. Du scheinst immerhin
gestutzt zu haben, was dich dann zum Denken, bzw. genauen Hinschauen
brachte.
Was hier zugeschlagen hat ist das Gesetz von der "guten Gestalt". Das
heißt, unsere Erfahrung sagt uns, wie Dinge einer bestimmten Art
auszusehen haben. Geringe Abweichungen von dieser guten Gestalt
korrigieren wir bei der Wahrnehmung ganz einfach, ohne daß uns dies
bewußt würde. Das führt dann dazu, daß du auch beim dritten
Korrekturlesen den immergleichen Fehler übersiehst.
Noch zu Gymnasiumszeiten sehe ich Peter H. mit einem Buch in der Hand
rumlaufen, frage ihn, was er denn grad schönes lese und er meinte, es
sei ein Buch von Erich Kästner über die unmittelbare Nachkriegszeit
unter dem Titel "notabende '45". Ich werfe einen Blick auf das Buch und
sage zu ihm, das Buch heiße aber "notabene '45", woraufhin er sofort
widerspricht. Der Disput geht ein paarmal hin und her, ich rate ihm
schließlich, doch einen Blick auf den Titel zu werfen. Er tut es - und
liest "notabende '45". Ich muß mit ihm zusammen den Titel buchstabieren,
bis er merkt und auch akzeptiert, daß dem Titel wirklich ein kleines "d"
fehlt.
Acetylcystein stand als wirksamer Bestandteil auf einem Medikament. Ich
habe tagelang Acetylstein gelesen und mich gefragt, was um Himmels
Willen ein Acetylstein wäre und wieso der - was immer es ist - als
Medikament genutzt werden kann.
In meiner Heimatstadt gibt es seit einigen Jahren schon einen großen
Supermarkt namens "Wal-Mart". Ich war dort und habe danach ganz
selbstverständlich davon gesprochen, daß ich im Wal-Markt war. Erst
meine Schwester hat mich drauf aufmerksam gemacht, daß es mitnichten
Wal-Markt heißt. Und dann habe ich ihr ganz einfach nicht geglaubt,
sondern mich erst bei meinem nächsten Besuch dort davon überzeugt.
Es war ein Markt und also habe ich das unverständliche "Mart"
automatisch zum sinnvollen "Markt" ergänzt, wobei ich das in diesem
Zusammenhang auch wenig sinnreiche "Wal" einfach als Eigenname genommen
habe, als Abkürzung von irgendwas.
Hätte es "Walmart" geheißen, hätte ich wohl ebenso automatisch das Ganze
als Eigennamen genommen und richtig gelesen.
Und der Effekt tritt beileibe nicht nur bei Schreibfehlern auf.
Irgendwann summe ich (zur Melodie von "Meine Mama, kommt aus Jokohama")
so den spontanen Vers vor mich hin: "Meine Mutter, streicht die Brot
aufs Butter". Mein Sohn hört dies, macht eine Bemerkung über das
Verstreichen von Marmelade und hat ganz offensichtlich die Verdrehung
des Satzes nicht mitbekommen.
Oder: ich habe die Angewohnheit, nach einer Aussage manchmal die
Bekräftigung anzufügen: "So wahr ich der Liebe Gott bin." (Das habe ich
aus einem Film mit Hans Albers, wenn ich mich recht erinnere. Da sagt er
den Satz in seiner dröhnenden, selbstsicheren (dabei immer auch
augenzwinkernd selbstironischen Art.) Viele, vor allem die, die diese
Bemerkung noch nie und schon gar nicht von mir gehört haben, reagieren
überhaupt nicht drauf, haben den Witz also offensichtlich nicht bemerkt.
In den späten Siebzigern sah ich auf der Mappe von L. den Aufkleber
"Stoppt Strauß" und mache darauf die Bemerkung: "Die vom
Anti-Strauß-Komitee sind schon wilde Burschen." Worauf L. meint, das
seien eher harmlose Kerle, und ich ihm zustimme mit den Worten: "Genau.
Das sind Schafe im Wolfspelz."
Er widerspricht mir, wiederholt seine Behauptung. Ich wiederum
wiederhole meine Bemerkung, fordere ihn auf, sehr genau hinzuhören. Noch
ein paarmal geht das hin und her, bis er endlich spannt, daß ich diesmal
die alte Redensart vom Wolf im Schafspelz umgedreht habe.
"Erst schlucken, dann kauen" - Ein Spruch von Hans-Ernst K. Wenn du
diesen Spruch einfach so in ein Gespräch einflichst und schnell
weitersprichst, kommt fast keiner drauf, daß die Reihenfolge
(natürlich!) nicht stimmt.
Dazu ein Zitat aus
Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen
"In einem psychologischen Experiment, das es eigentlich verdiente,
außerhalb der Zunft weit mehr bekannt zu sein, hatten Bruner und Postman
Versuchspersonen aufgefordert, eine Reihe von Spielkarten nach kurzer
und kontrollierter Belichtung zu identifizieren. Viele der Karten waren
normal, aber einige waren verändert worden, zum Beispiel eine rote Pik
Sechs oder eine schwarze Herz vier. Jeder Versuchsablauf bestand daran,
daß einer Person in einer Serie allmählich immer länger werdender
Belichtungszeiten jeweils eine Karte gezeigt wurde. Nach jedem Bild
wurde die Versuchsperson gefragt, was sie gesehen hatte, und die
Testfolge wurde mit zwei aufeinanderfolgenden richtigen
Identifizierungen abgeschlossen.
Sogar bei kürzesten Belichtungen identifizierten viele Versuchspersonen
die Mehrzahl der Karten, und nach einer geringen Verlängerung
identifizierten alle Personen alle Karten. Bei den normalen Karten waren
die Identifizierungen gewöhnlich richtig, aber die abgeänderten Karten
wurden fast immer, ohne sichtbares Zögern oder Überraschung, als normale
Karten bezeichnet. Die schwarze Herz Vier konnte beispielsweise als Pik
Vier oder Herz identifiziert werden. Ohne das Bewußtsein von
Schwierigkeiten wurden sie sofort in eine der von vorangegangenen
Erfahrungen bereitgestellten Begriffskategorien eingeordnet. Man kann
nicht einmal sagen, die Versuchspersonen hätten etwas anderes gesehen,
als sie angaben. Bei einer weiteren Verlängerung der Belichtungsdauer
für die nicht normalen Karten begannen die Versuchspersonen zu zögern
und zeigten, daß sie sich der Anomalie bewußt wurden. Als ihnen
beispielsweise die rote Pik Sechs vorgelegt wurde, sagten einige, das
ist die Pik Sechs, aber etwas stimmt nicht - das Schwarz hatte einen
roten Rand. Eine weitere Verlängerung der Belichtungsdauer ergab noch
mehr Zögern und Verwirrung, bis schließlich, und manchmal recht
plötzlich, die meisten Versuchspersonen die richtige Identifizierung
ohne Zögern hervorbrachten. Außerdem hatten sie, nachdem sie das bei
zwei oder drei anomalen Karten getan hatten, weniger Schwierigkeiten bei
den anderen. Einige Versuchspersonen waren allerdings überhaupt nicht in
der Lage, die erforderlichen Korrekturen an ihren Kategorien
vorzunehmen. Auch bei einer Verlängerung der für das richtige
Identifizieren von normalen Karten erforderlichen durchschnittlichen
Belichtungsdauer auf das Vierzigfache wurden noch immer zehn Prozent der
anomalen Karten nicht richtig bezeichnet. Und die Versuchspersonen, die
dann noch versagten, zeigten oft persönlichen Unmut. Einer rief: "Ich
kann die Farbe nicht erkennen, gleichgültig, welche es ist. Diesmal sah
es nicht einmal wie eine Karte aus. Ich weiß nicht, welche Farbe es
jetzt ist und ob es Pik oder Herz ist. Ich bin jetzt nicht einmal mehr
sicher, wie ein Pik aussieht. Ach, du lieber Gott!"