Post by Christian WeisgerberPost by Thomas SchadeIch kenne als 'dunkle' Vokale a, o und u, als 'helle' e und i; Umlaute
und Diphtonge mal außen vor. Ähnlich wie Markus habe ich aber auch
Verständnisproblem mit einem hell ausgesprochenen dunklen Vokal. Nicht
umsonst wird bei der Aussprache von Vokalen, egal ob hell oder dunkel,
üblicherweise von 'offen' bzw. 'geschlossen' gesprochen.
Man ordnet die Vokale im so genannten „Vokaltrapez“ an, das zwei
https://de.wikipedia.org/wiki/Vokaltrapez
Die eine ist der Öffnungsgrad, von den geschlossen Vokalen i und u
über die mittleren e und o zum ganz offenen a. Das entspricht der
Mundöffnung, daher die Verbindung „Ah sagen“ und Mund ganz auf
machen.
Das ist zweifellos richtig, aber es gibt da ein paar Pferdefüße. Ich schreibe
mal alles zusammen, worüber ich schon gestolpert bin. Ich wäre für weitere
Erläuterungen durchaus dankbar.
(1) Phonetik (potentiell aller Sprachen) vs. Phonologie (einer Sprache): Die
Unterscheidung „geschlossenes [e]“ vs. „offenes [ɛ]“ müsste genauer heißen
„geschlossenerer E-Laut“ vs. „offenerer E-Laut“. Verglichen werden zwei
Varianten einer Sorte Vokal in einer bestimmten Sprache miteinander, nicht
mit allen anderen Vokalen. Ein „offenes“ [ɪ] ist geschlossener als ein
„geschlossenes“ [e] (siehe Vokaltrapez), aber die beiden werden ja nicht
miteinander verglichen. Verglichen werden nur die, die in einer bestimmtem
Sprache vergleichbar sind; oft die, die mit demselben Buchstaben geschrieben
werden, weil sie als ähnlich empfunden werden. Das ist sprachabhängig: Wenn
ein Deutscher offenes [ɔ] („Pollen“) und geschlossenes [o] („Politik“ in
genauer Aussprache) vergleicht, nennt er sie „offenenes und geschlossenes O“;
ein Ungar würde sie vielleicht „kurzes A und kurzes O“ nennen.
(2) Wörterbücher: Auch in Wörterbüchern werden nur die Vokale derselben
Sprache verglichen. Steht in einem Englisch-Wörterbuch „bed [bed]“, so ist
damit nicht ein wirklich geschlossener E-Laut gemeint (den gibts gar nicht),
sondern einer, der geschlossener ist als der in „better“. Wenn in
Deutsch-Wörterbüchern ein Unterschied zwischen „Rate [ʀɑːtə]“ und „Ratte
[ʀatə]“ gemacht wird (siehe auch unten (6)), ist nicht die rechte und linke
untere Ecke des Vokaltrapezes gemeint, sondern zwei Positionen ein wenig
rechts und links vom [ä] im der Mitte der Unterkante. Würde man das anders
machen, wären die Wörterbücher voll von Diakritika, die keiner kennt.
(3) Regionale Färbung: Lass einen Australier, einen Briten und einen
Amerikaner einen Satz sagen wie „The batter is better with butter“, schneide
die drei Wörter „b*tter“ heraus und lasse jemanden raten, welches Wort
welches ist. Wird interessant. Der Unterschied kommt nur im Vergleich mit
anderen Äußerungen desselben Sprechers (oder wenigstens derselben Herkunft)
heraus.
(4) Gespanntheit: Man unterscheidet mitunter „gespannte“ von „ungespannten“
Vokalen. Anschaulich ist mir das klar: für ein [e] muss man sich mehr
anstrengen als für ein [ɛ], das mühelos ohne viel Umformung des Mundraums aus
der Kehle kommt. Eine Definition kenne ich nicht, auch die WP setzt die
Unterscheidung als bekannt voraus (Artikel „Vokal“, erstes Vorkommen von
„gespannt“). Oft (immer?) gilt gespannt = phonologisch geschlossen;
ungespannt = phonologisch offen, aber es mag da einen Unterschied geben.
(5) Mittlere Vokale: Sprachen, die nur *einen* E-Laut kennen, haben meist
etwas zwischen [e] („See“) und [ɛ] („Träne“) Liegendes, z.B. spanisch „peso“
– weder Peeso noch Pähso. Dasselbe beim O. Mittlere Vokale sind ein Stiefkind
von IPA; sie müssen mit Zusatzdiakritika geschrieben werde wie [e̞].
(6) Offenes und geschlossenes A: Die verschiedenen A-Laute werden manchmal
als „offen“ und „geschlossen“ bezeichnet, obwohl der Unterschied eher in
„vorne“ und „hinten“ liegt (links und rechts im Vokaltrapez). Das ist
naheliegend, weil die vorderen sich phonologisch oft verhalten wie offene und
umgekehrt; also: in kurzen Silben eher offen/vorn, und insgesamt mehr
Gespanntheit bei geschlossen/hinten. Außerdem dasselbe Problem wie (5): das
mittlere A gibts nur mit Diakritikum als [ä] (hat nichts mit dem deutschen
Buchstaben -ä- zu tun).
(7) Maulfaulheit: Mit ganz offenem Mund kann man keine geschlossenen Vokale
aussprechen, das ist richtig. Man kann aber ohne weiteres ein geschlossenes
[i] („Kiel“) und ein (mittleres) [a] („kahl“), die eindeutig als solche
erkannt werden, nacheinander aussprechen, ohne den Kiefer bei [a] weiter
aufzuklappen als beim [i]. Der Unterschied ist also nicht der Aufklappwinkel
des Kiefers, sondern die Höhe der Luftschicht über der Zunge. Und man kann
ein offenes [œ] oder [ʊ] aussprechen, ohne die Lippen sichtbar zu runden.
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Helmut Richter