Post by Ralf JoerresWitzig in diesem Zusammenhang: 'dasselbe' und 'das gleiche' werden in
der Umgangssprache fast unterschiedslos gebraucht, was dann regelmäßig
einem Neunmalklugen Gelegenheit gibt, sein Pfauenrad zu schlagen und
überlegenes Sprachwissen zur Schau zu stellen.
Was ist der Unterschied zwischen »dasselbe« und »das gleiche«?
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Zunächst sei die Frage einmal kurz vorweg beantwortet:
In einem gegebenen Zusammenhang wird mit »das gleiche«
Gleichheit in bezug auf eine gröberes Begriffsverständnis
und mit »dasselbe« Gleichheit in bezug auf ein feineres
Begriffsverständnis ausgedrückt. Um welche Begriffsverständnisse
es sich aber jeweils handelt, muß dem Zusammenhang entnommen
werden und kann nicht allgemein festgelegt werden.
Die Unterscheidung ist weniger fachsprachlich sondern eher
umgangssprachlich, weswegen sie nicht zu ernst genommen werden
sollte.
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| Identität eines Dinges mit sich selbst
»Von /zwei/ Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein
Unsinn, und von /Einem/ zu sagen, es sei identisch mit sich
selbst, sagt gar nichts.«
Ludwig Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus (5.5303), 1921
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| Verschiedene Bezeichnung einer Entität
Wir haben aber in der Sprache das Phänomen, daß wir eine Sache
mit zwei verschiedenen Weisen bezeichnen können. Im Falle der
Venus kann man sagen:
»Der Himmelskörper "Morgenstern" ist der gleiche Planet
wie der Himmelskörper "Abendstern".«
Die verschiedenen sprachlichen Bezeichnungen können verschiedene
Wege der Erkenntnis der Sache in der Erfahrung wiederspiegeln.
Allerdings gilt natürlich auch
»Das Wort "Morgenstern" ist nicht das gleiche Wort
wie das Wort "Abendstern".«
Manche Mißverständnisse entstehen wenn klärende
Gattungsbezeichnungen (wie »Himmelskörper« oder »Wort«)
weggelassen werden:
»Der Morgenstern ist der Abendstern.«
»"Morgenstern" ist nicht "Abendstern".«
Im zweiten Falle sind die Wörter gemeint und nun ruht die
ganze Last der Klarstellung dieser Absicht auf den Anführungszeichen
(use-mention-distinction: Ohne die Anführungszeichen ist die
Interpretation "objektsprachlich", mit ihnen "metasprachlich").
Oder zwei unterschiedlich erklärte (definierte) Begriffe könnten
in einem Modell dieselbe Entität bezeichnen, was bei der
Definition der Begriffe zunächst nicht offensichtlich sein muß.
Man spricht hier auch manchmal von »intensionaler« und
»extensionaler« Gleichheit: Die Intension ist die Beschreibung.
Verschiedene Beschreibungen können die gleiche Sache oder die
gleiche Menge von Sachen beschreiben (also die gleiche Extension),
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| Gleichheit angegebener Entitäten
Viele mathematische Modelle enthalten heute ja nur noch
Mengen, und für die kann man Gleichheit stets extensional
definieren:
»x = y« bedeutet: »"e ist Element von x" hat den
Wahrheitswert von "e ist Element von y" für alle e«.
Die Bekräftigung, daß eine Menge zu sich selbst gleich ist,
ist - wie gesagt - wirklich redundant. Der Sinn der
extensionalen Gleichheitsdefinition wird erst erkennbar,
wenn man in »x« und »y« zwei (möglicherweise verschiedene)
/Beschreibungen/ von Mengen sieht. Sie sagt dann, wann zwei
(verschiedene) Beschreibungen die gleiche Menge beschreiben.
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| Gleichwertigkeit unterschiedlicher Entitäten
Dann gibt es das Wort "gleich" als Kurzform von »gleichwertig«
"~". Eine Funktion induziert eine Äquivalenzrelation in ihrem
Definitionsbereich, vermittels x ~ x' :<==> f( x )= f( x' ).
(Die Wortbedeutung aus dem Abschnitt zum Morgenstern
entspricht hier dieser Funktion »f«.)
Betrachtet man beispielsweise die Abbildung, die einem Term
seinen Wert zuordnet, so ist der Term "2+2" dem Term "2*2"
zwar nicht gleich, aber gleichwertig.
Nun sagt man aber zu »gleichwertig« auch manchmal kurz
»gleich«, also »2+2 ist gleich 2*2«. Will man dann wirklich
von Gleichheit der Terme sprechen, so verwendet man
»dasselbe« oder spricht von »Identität«, sagt also »"2+2" sei
gleich "2*2", aber "2+2" sei nicht dasselbe wie "2*2" oder
"2+2" sei nicht identisch mit "2*2"
Aber auch Terme können wieder hinsichtlich einer anderen
Äquivalenzrelation identifiziert werden, denn der Term »2+2«
ist dem Term »2 +2« gleich, obwohl die Zeichenfolgen
unterschiedlich sind.
Daher kann man, wenn man genau sprechen will, die
Unterscheidung zwischen "das gleiche" und "dasselbe" aufgeben
und statt dessen jeweils die Gattung und damit den Begriff
genau angeben, also in Reihenfolge zunehmender Feinheit:
»Der Wert "2+2" ist gleich dem Wert "2*2".«
»Der Term "2+2" ist gleich dem Term "2+ 2".«
»Die Zeichenfolge "2+2" ist gleich der Zeichenfolge "2+2".«
Aber auch die letzten beiden Zeichenfolgen kann man wiederum
als unterschiedlich ansehen, wenn man zu ihrer Identität
noch die Position innerhalb des Textes, an der sie sich befinden,
zählt (Zeichenfolgenexemplare). So ergibt sich dann eine immer
feinere Unterscheidung von Werten zu Termen, Zeichenfolgen und
schließlich Zeichenfolgenexemplaren. (Letztere kann man auch noch
weiter verfeinern: Das Wort »Haus« an einer bestimmten Stelle
einer Seite eines Buchwerkes (einer Auflage), das vorherige in
einem bestimmten Exemplar dieses Buches, und das vorherige zu
einem bestimmten Zeitpunkt.)
Neue Entitätsklassen werden manchmal auch dadurch definiert, daß
erklärt wird, wann zwei ihrer Entitäten einander gleich sein
sollen. Beispielsweise ist das 2-Tupel (a,b) dem 2-Tupel (c,d)
gleich genau dann, wenn a c und b d gleich ist.
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| System und Zustand
In der Physik hat man Systeme und Zustände und muß so beim
Vergleich sagen, ob man fragt, ob dasselbe System oder
dasselbe System und derselbe Zustand vorliegt.
Heraklit sagte:
»Niemand kann zweimal in den gleichen Fluß steigen, denn
immer andere Wasser strömen beständig nach.«
Kratylos soll geschrieben haben:
»Niemand kann auch nur einmal in den gleichen Fluß steigen.«
Und Wittgenstein wurde zugeschrieben:
»Der Mann, der sagte, man könne nicht zweimal in den
gleichen Fluß steigen, sagte etwas Falsches; man kann
zweimal in den gleichen Fluß steigen.«
Diese Zitate zeigen auch einmal wieder, daß auf diesem Gebiet
keine Einigkeit über die Begriffe besteht.
Tatsächlich geht es aber darum, was man unter einem Fluß
überhaupt versteht, insbesondere wann zwei Beschreibungen
(oder Bezeichnungen) von Flüssen den gleichen Fluß beschreiben.
Einerseits versteht man unter einem Fluß das Wasser,
welches gerade in einem Flußbette ist. Andererseits wird der
Fluß auch oft als durch sein Bett identifiziert und nicht durch
die als individuell markierbar angenommenen Wasserteilchen darin.
Was genau ein Fluß ist und wodurch er genau spezifiziert wird,
ist also nicht eindeutig festgelegt. Diese Flexibilität ist
in der Umgangssprache gerade hilfreich, während man bei
mathematischen Begriffen Wert auf eine eindeutige (extensionale)
Definition legt.
Auch in der Informatik schätzt man diese Flexibilität anscheinend
wenn man mit »Bit« mal einen Bitspeicher, mal dessen Zustand
(»0« oder »1«) und mal die in einem Bitspeicher enthaltene
Informationsmenge bezeichnet.
Je nach der Definition von »Fluß« ist es also egal, ob man
»den gleichen« oder »denselben« Fluß sagt: Man /kann/ zweimal
in den gleichen (oder »denselben«) Fluß steigen oder man
kann es nicht.
Aber auch die Identität eines einzelnen Systems enthält nicht
selbstverständliche Selbstidentität, sondern eine
interpretierende Äquivalenzrelation. Ist Bundeskanzler Gerhard
Schröder noch derselbe Mensch, wie der Juso-Vorsitzende
Gerhard Schröder? Wie viele Atome, die damals seinen Körper
ausmachten, sind inzwischen durch Stoffwechsel ausgetauscht
worden?
Bei Teilchen unterscheidet man innere und äußere Freiheitsgrade:
Zwei Teilchen können in allen inneren Freiheitsgraden gleich
sein und sich nur in ihrem Ort unterscheiden. Damit ist das
eine Teilchen eine exakte Kopie des anderen Teilchens an einem
anderen Ort.
Zwei Bosonen können in allen Freiheitsgraden (inneren und äußeren)
übereinstimmen. Sind zwei Bosonen, die in allen Quantenzahlen
übereinstimmen, dann dieselbe Sache? Man kann zwar sagen, daß
es zwei Teilchen sind, aber es gibt dann nichts mehr, in dem
sie sich unterscheiden.
Das altbekannte, laut Cicero schon den Stoikern bekannte, »Prinzip
des Ununterscheidbaren« (»Principium identitatis indiscernibilium«)
kann zwar oft, aber vielleicht nicht hier, angewendet werden. Es besagt
in einer Formulierung, daß zwei Dinge gleich seien, wenn alle ihre
Eigenschaften gleich sind.
Man könnte, wenn man will, vereinbaren, daß »gleichwertig« bedeutet,
daß zwei Dinge in einer (im Kontext besonders relevanten)
Eigenschaft (ihres »Wertes«) gleich sind, »gleich« daß sie
in bezug auf all im Kontext relevanten Eigenschaften gleich sind
(sich aber noch in anderen irrelevanten Eigenschaften unterscheiden
könnten), und »identisch«, wenn sie in bezug auf alle Eigenschaften
gleich sind (seien sie nun gerade relevant oder nicht).
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| Die Axt mit den getauschten Teilen
Oliver Cromm <***@crommatograph.info> writes:
|So wie dieselbe Axt, bei der nur zweimal die Klinge und dreimal
|der Stiel getauscht wurde? :-)
Das ist das Problem der Identität in eine kurze und doch
verständliche Frage gepackt: Ist es noch dieselbe Axt, nachdem
zweimal die Klinge und dreimal der Stiel getauscht wurde?
Die Antwort scheint mir darin zu bestehen, daß es alles nur
eine Frage der Definition ist. Wenn ich eine bestimmte Axt,
sagen wir, »die Heilige Axt des Römischen Reiches« so definiere,
daß sie aus »dem Heiligen Stiel« und »der Heiligen Klinge«
besteht, so ist sie dann nicht mehr dieselbe.
Man kann aber die Axt auch dadurch definieren, daß sie durch
einen Weiheprozeß bestimmt wird. Wenn man die Klinge entfernt
(auch ist eine Definitionsfrage, ob dabei die Klinge oder der
Stiel entfernt wird), dann wird die entfernte Klinge »entweiht«
und die neue Klinge »geweiht«. Danach ist das ganze wieder
»die Heilige Axt des Römischen Reiches«, weil sie aus
»der geweihten Klinge« und dem »geweihten Stiel« besteht.
Die ganze Physik beruht auf der Betrachtung physikalischer
Systeme, welche zu jedem Zeitpunkt in einem Zustand sind.
Dabei unterliegt es ebenfalls einer gewissen Willkür, wenn
man zwei Zustände demselben System zuordnet und dadurch
etwas definiert, daß zeitlich invariant ist (das System).
So bringen wir etwas Ordnung in die chaotische Welt, eine
Ordnung, welche auch die Sprache ermöglicht.
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| »Das gleiche« und »dasselbe«
Der Unterschied zwischen »das gleiche« und »dasselbe« wird
gerne gemacht, wenn es im Kontext zwei verschiedene
Äquivalenzrelationen gibt, um dann mit »das gleiche« einen
bezug auf die gröbere und mit »dasselbe« einen Bezug auf die
feinere Äquivalenzrelation zu markieren.
Das typische Beispiel ist wohl
»Du hast dasselbe Kleid wie Deine Freundin an!«
»Nein - ich habe das gleiche Kleid wie sie an!«
Hier beizeichnet »das gleiche« für die als zweite sprechende
Person Gleichheit hinsichtlich der Äquivalenzrelation »vom
gleichen Produktionsmuster« (Schnitt, Art des Stoffes, Art des
Musters), »dasselbe« bezeichnet Identität einer physikalischen
Sache im Sinne ihres verfolgbaren Wegs in der Raumzeit.
Aber diese Zuordnung ist nicht zwingend, so daß eine
Verbesserung von jemandem, der »das gleiche« oder »dasselbe«
anders verwendet, als man dies selber tun würde, oft unnötig
und nicht immer zwingend ist. Schließlich kann man meist
verstehen, was gemeint ist. Auch kann der Sprecher mit einem
gewissen Recht »das gleiche« und »dasselbe« immer so
definieren, daß seine Verwendung richtig ist.
Also, man darf auf diesem Gebiete nichts für
selbstverständlich halten, sondern sollte die verwendeten
Begriffe und Äquivalenzrelationen möglichst explizit angeben
oder sich ihrer wenigsten bewußt sein.
Manchmal wird behaupt: »Mutter und Tochter benutzen dasselbe
Parfum« bedeute immer »es gibt nur einen Flacon, den sich
Mutter und Tochter teilen«
Das ist aber die von mir nicht geschätzte starre
Interpretation, die ihre Subjektivität unbewußt, diese als
objektiv richtig vermeint.
Tatsächlich kann man aber genauso gut den Flakon als Klasse
ansehen ("zwei Parfümtropfen sind gleich, wenn sie aus
demselben Flakon kommen") und als individuell nur den gleichen
Tropfen ansehen.
Weil es eben subjektiv ist, was man als Klasse und was als
Individuum ansieht, wie ich hoffe mit obigem Beispiel gezeigt
zu haben, sollte man es anderen zugestehen, ihre eigene
Auffassung davon zu haben. Deswegen würde ich niemanden
korrigieren, der "dasselbe" oder "das gleiche" irgendwie
verwendet, solange ich verstehen kann, was er meint.
Gleichheit von Dingen der »Realität« ist immer eine
Frage der Modellbildung und des genauen Typs der
Modellentität (etwa mag ein System in zwei verschiedenen
Zuständen trotzdem als das gleiche System angesehen werden:
Die Gleichheit gilt hier für den Entitätstyp »System«, aber
nicht für den Entitätstyp »Zustand«.)
Siehe auch (ersetze "x" durch "."):
dexwikipediaxorg/wiki/Identit%C3%A4t
dexwikipediaxorg/wiki/Leibniz-Gesetz
wwwxmathxharvardxedu/~mazur/preprints/when_is_onexpdf
homepagexsmcxedu/kennedy_john/IDENTITYxPDF