Post by Stefan Schmitz"Wer mal einen Krieg erlebt hat, kann fromm werden, wenn nicht sogar
religiös."
Dass Religiosität mehr als Frömmigkeit sein soll, entspricht nicht meinem
Sprachgefühl. Ich würde es umgekehrt sehen. Und ihr?
Die Begriffe „fromm“ und „religiös“ haben viele Bedeutungsfacetten, aber
im Großen und Ganzen sieht mein Sprachgefühl das ähnlich wie deins. Vor
allem hat „fromm“ eine deutliche persönliche Konponente: der Glaube ist
dem Frommen wichtig und er lebt danach, und zwar nicht nur aus äußerlichen
Gründen wie einem gewissen Ansehen (das bei uns als Motiv stark im
Schwinden ist, aber anderswo nicht) oder aus Tradition, sondern aus
aufrichtiger Überzeugung.
„fromm“ hat manchmal einen Beigeschmack von naiv, gutgläubig, lammfromm.
Ich habe mir abgewöhnt, das automatisch mitzudenken, weil es oft den
Menschen nicht gerecht wird, aber man muss diese Komponente mit
berücksichtigen, wenn man das Wort benutzt.
Dietrich Bonhoeffers Konzept von „religionslosem Christentum“ hat das Wort
„religion/religiös“ in Teilen des Protestantismus in Verruf gebracht.
Gemeint ist mitnichten ein ungläubiges, halb atheistisches oder wenigstens
agnostisches Christentum, auch kein inhaltlich beliebiges und keines mit
geringem persönlichen Engagement – dagegen steht sein gesamtes Schrifttum
wie auch sein Tod im KZ Flossenbürg. Vielmehr gebraucht er das Wort
„Religion“ als Teil der Kultur (Stichwort: Kulturprotestantismus), und
diese Kultur sah er als Irrweg an, der mit dem 1. WK zussammengebrochen
war. Er war dagegen, diese religiöse Kultur wieder aufleben zu lassen, und
dachte darüber nach, wie ein in *diesem* Sinne „religionsloses“
Christentum aussehen könnte.
„religiös“ sagt außerdem nichts über Inhalte aus, während „fromm“
normalerweise nur für Christen und Juden gebraucht wird – vielleicht
inzwischen auch für Moslems, aber seltener.
War schwierig: wahrscheinlich lässt sich gegen jeden Satz auch ein
Gegenargument finden. Aber so etwa würde ich den Unterschied sehen.
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Helmut Richter