Post by Lars BraesickePost by Lars Braesicke"Je weniger die Schule nach Stand und Herkommen selegiert, desto
mehr wird Bildung zur Handelsware. Chancengleichheit bedeutet
dann: Gleiche Bildung für gleiches Geld."
Und nun erzähl du mir, was das Wort "Stand" darin soll.
AUSNAHMSWEISE mal - aber sag hinterher nicht, das hättest Du
alles schon gewußt. Dann hättest Du, bitteschön, nicht so
unbedarft fragen dürfen!
"Stand und Herkommen" ist ein Topos, der bezeichnet, aus was
für einem Elternhaus, was für einer Familie, was für einer
sozialen Schicht jemand kommt. Das deutsche Gymnasium war
früher mal eine Schule für die soziale Oberschicht: Leute,
die selbst schon etwas geworden waren, schickten ihre Kinder
dorthin, damit die auch etwas würden. Sogenannte "einfache
Leute", Bauern, Handwerker, Arbeiter, hatten es schwerer,
ihre Kinder aufs Gymnasium zu bringen: Das kostete Schulgeld,
Geld für Bücher und vor allem Zeit, die als geldwerte Arbeits-
und Verdienstzeit ausfiel. Für die Oberschicht spielte das
keine Rolle, das Geld war da, die Zeit war da, da mußte nicht
lange gerechnet werden.
Wenn ein Oberschicht-Kind nicht mitkam, dann konnte in aller
Regel der Vater, ein Bruder, Vetter, Onkel und schlimmstenfalls
ein dazu engagierter Student weiterhelfen. Letzteres war aber
die Ausnahme. Ich selbst habe bei meinem Vater Latein
nachbüffeln müssen - keine schöne Erfahrung, aber, wichtiger:
Wir mußten Latein nicht "zukaufen", es war vorhanden.
Wenn ein "Einfache-Leute-Kind" in Latein oder sonst einem Fach
auf Dauer nicht mitkam, dann ging es entweder ab. Das war Pech,
auch wohl ein schmerzhaftes Frustrationserlebnis, aber nicht
wirklich schlimm: Der "Schuster blieb bei seinen Leisten." Oder
- und jetzt kommt die Bildung als Handelsware: Latein, oder
was es sonst war, mußte hinzugekauft werden, denn da war kein
lateinkundiger Vater, Bruder, Onkel, sondern "nur" lauter
Bäckermeister, Klempnergesellen oder Facharbeiter. Da half
nur bezahlter Nachhilfeunterricht.
So, und das setzt Du jetzt einfach in den oben von Dir noch
einmal zitierten Satz ein: "Je weniger die Schule nach Stand
und Herkommen selegiert, desto mehr wird Bildung zur
Handelsware." Je mehr Eltern selbst nicht Latein können,
desto größer wird der Markt für hinzukäufliches Latein. Oder
für hinzukäufliche Interpretationen von Goethe-Balladen:
<http://www.school-scout.de/material/13963>
1,90 € für den "Totentanz". Und da die Universitäten auch
nicht nach Stand und Herkommen selegieren, müssen heute sogar
Lehrer, was ihnen von Hause aus an Bildung fehlt, hinzukaufen.
Und der Markt brummt.
Darum sagte ich: "Chancengleichheit bedeutet dann: Gleiche
Bildung für gleiches Geld." Bei den einen - ist das schon die
Minderheit? - haben es die Eltern und Großeltern schon
vorgeschossen, ohne daß es wehtat. Die anderen müssen jetzt
und in bar berappen.
Jetzt alles klar?
j/\a