Post by Martin ΤrautmannWarum kann man nicht mal mit der Heckenschere durch das Sprachdickicht
gehen und zumindest die ganzen Umlautkombis rauswerfen?
Warum braucht man eu, äu, oy undsoweiter? Warum kann man hier nicht
einheitlich "oi" verwenden? Taufe -> Toifer. Gewöhnungsbedürftig.
Bei Schreibung nach Herkunft denke ich jetzt eher an „Philosophie“
statt „Filosofie“, wo man die römische Umschrift der altgriechischen
Aussprache von vor der Zeitenwende bewahrt. Taufe > Täufer ist ein
Beispiel für Wortableitung.
Grundsätzlich kann man eine Rechtschreibung nach verschiedenen
Prinzipien ausrichten:
- Lautprinzip: Schreibe, wie du sprichst!
- Stammprinzipi: Schreibe Gleiches möglichst gleich!
- Das grammatische Prinzip: Mach den grammatischen Aufbau deines
Textes deutlich!
- Das semantisch-pragmatische Prinzip: Hebe für den Leser wichtige
Textstellen hervor!
- Das Homonymieprinzip: Schreibe Ungleiches ungleich!
- Das ästhetische Prinzip: Vermeide verwirrende Schriftbilder!
(Abgespickt von https://gallmann.uni-jena.de/Ortho/Handbuch_2_Ebenen.pdf)
Das kann man mindestens noch um das Herkunftsprinzip (Bewahre die
Schreibung von früher oder der Quellsprache!) ergänzen.
Jedes für sich allein betrachtet sind diese Prinzipien alle
wünschenswert, aber man kann sie nicht alle gleichzeitig befolgen,
weil sie untereinander in Widerspruch treten. Wenn ich nach dem
Homonymieprinzip „Lid“ und „Lied“ verschieden schreibe, dann verstoße
ich gegen das Lautprinzip. Auch wenn ich nach dem Stammprinzip „Rad,
Räder“ statt „Rat, Räder“ schreibe, verstoße ich gegen das Lautprinzip.
Diverse romanische Sprachen unterscheiden nach dem grammatischen
Prinzip die Verbform entsprechend ‘hat’ und eine gleichlautende
sehr häufige Präposition, also „ha“/„a“ oder „a“/„à“, auch hier
wieder entgegen dem Lautprinzip. Und so weiter.
In der Praxis ist die Orthografie einer Sprache immer ein Kompromiss,
wobei die Prinzipien in verschiedenen Sprachen durchaus unterschiedlich
gewichtet werden und auch die konkreten Eigenschaften der Sprache
eine Rolle spielen. Hat eine Sprache z.B. Auslautverhärtung, dann
muss man gleich entscheiden, ob man dem Lautprinzip Vorrang gibt
(Mittelhochdeutsch¹) oder dem Stammprinzip (Neuhochdeutsch, Polnisch).
¹) Jedenfalls in der standardisierten Form, wie sie in Herkunfts-
wörterbüchern zitiert wird.
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Christian "naddy" Weisgerber ***@mips.inka.de