Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)Post by Henning SponbielPost by Stefan+ (Stefan Froehlich)Ich bin kein besonders großer Freund des Binnen-Is, muss aber
doch feststellen, dass sich dadurch über die vielen Jahre hinweg
etwas - und zwar zum besseren - verändert hat.
Jetzt hast du mich neugierig gemacht: Was hat sich dadurch
_konkret_ zum Besseren verändert (bitte belegen)?
Ich bin vor zwei Monaten mit einer ehemaligen Schulkollegin
zusammengesessen, die sich ziemlich weit vorne bei dem Thema
engagiert ist und an dem Abend einiges darüber erzählt hat. Wie
immer nach solchen Abenden könnte man hunderte Dinge darüber sagen,
wenn man sie sich nur gemerkt hätte. :-)
Zum einen: Es geht nicht ums Binnen-I alleine, sondern um
genergerechte Sprache insgesamt; die Verwendung von Unterstrichen
oder Sternchen ist ganz genauso geeignet.
Ich warte darauf, dass es selbstverständlicher wird, dass Frauen und
Männer dieselben Chancen und Bedingungen vorfinden, sich einzubringen.
Gesellschaftlich sind wir ein Stück weiter als von 50 Jahren, aber noch
lange nicht am Ziel. Sprachlich dagegen sind wir rückwärts gewandt. Der
Anteil von Frauen unter den Lehrern sowohl in der Grundschule als auch in
weiterführenden Schulen ist weit höher als damals, die
Selbstverständlichkeit ist geringer – so gering, dass man jetzt immer
dazusagen muss, dass auch Frauen darunter sind, weil das anscheinend
mittlerweile nicht mehr selbstverständlich ist. Bei jedem „Lehrerinnen und
Lehrer“ höre ich „Lehrer, und ihr werdets nicht glauben: wir sind so
fortschrittlich, dass da sogar Frauen dabei sind“. Das liegt nicht an der
Gendergerechtigkeit der Sprache, die mich weder stört noch zu hellem Jubel
veranlasst, sondern an der Umständlichkeit: was der Normalfall ist, hat
eben keine umständliche Formulierung. – Zum Jubel würde mich veranlassen,
wenn die Verhältnisse gerechter würden statt nur die bemühte Sprache.
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)Zum zweiten: Es gibt im deutschen Sprachraum (immer noch) keine
einheitliche Vorgehensweise, was großflächige Untersuchungen
schwierig macht. Die Schweden waren da konsequenter und haben
tatsächlich nicht nur ein neues Pronomen eingeführt, sondern auch
dessen Auswirkungen auf Lesbarkeit und Einschätzung des damit
beschriebenen Sachverhalts untersucht (Tavits, Perez 2019: Language
influences mass opinion toward gender and LGBT equality).
Die Schweden haben wie die Engländer eine Sprache, die keine
sexus-korreelierten Genera hat. Da ist die Ausgangsposition eine andere.
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)Erfolge gibt es aber auch in unseren Breiten: Auf den hiesigen
Universitäten, auch technischen, werden nicht gendergerecht Arbeiten
schlechter bewertet oder zum Teil sogar abgelehnt
Toll! Rasse von 80 Jahren, Klasse vor 50 Jahren, Gender jetzt. Die
Qualität einer Arbeit richtet sich nach der Anpassung der Sprache an
behördliche Vorgaben: nichts Neues unter der Sonne. Dass jemand *das*
heute noch begrüßt, jagt mir kalte Schauer über den Rücken.
Und auch die Vorstellung, die Verhältnisse änderten sich durch die
befohlene Sprache, ist nicht neu. Sie ist schon 1948 karikiert worden, als
„1984“ geschrieben wurde.
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)- es wächst
inzwischen also bereits eine ganze Generation der Bildungselite mit
Selbstverständlichkeit in so einem Setting auf (im Gegensatz zu mir,
der ich noch mit Binnen-I-gone surfe).
Die Selbstverständlichkeit, dass jeder seine Sprache an die politische
Sau anpasst, die gerade durchs Dorf getrieben wird, halte ich nicht für
ein Ziel. Und wenn die angeordnete Sprache die Gendersegregation zu Ziel
hat wie jetzt, dann erst recht.
Post by Stefan+ (Stefan Froehlich)Und: der öffentliche Diskurs hat sich in den letzten 20 Jahren
deutlich verschoben. Es gibt zwar immer noch ein paar
Proteststimmen, aber nur wenige - überall sonst muss man sich dafür
rechtfertigen, *nicht* gendergerecht zu schreiben (wenn das
Magistrat Salzburg eine Dienstanweisung zur bevorzugten Verwendung
der männlichen Form in der Binnenkommunikation erlässt, erscheint
das eher obskur und nicht als der Normalfall, der es in den 90ern
gewesen wäre).
Wenn sie die generische Form als „männlich“ bezeichnen, sind sie selbst
schuld. Welches grammatische Genus haben denn generische Wörter? Die wären
in einer Gesellschaft wichtig, in der es Gendergerechtigkeit gibt.
--
Helmut Richter