Discussion:
Er hat jetzt die Wohnung wieder vermietet. 'Geht' der Satz? Welches Tempus?
(zu alt für eine Antwort)
Ralf Joerres
2018-05-13 19:08:53 UTC
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Es geht um den Satz: 'Er hat jetzt die Wohnung wieder vermietet.'

Wie ist er stilistisch einzuordnen - salopp, normal umgangssprachlich,
unterhalb der Standardsprache, standardsprachlich, regional ...?

Und welches Tempus hätten wir da?

Grüße: Ralf Joerres
Stefan Ram
2018-05-13 19:27:22 UTC
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Post by Ralf Joerres
Es geht um den Satz: 'Er hat jetzt die Wohnung wieder vermietet.'
Wie ist er stilistisch einzuordnen - salopp, normal umgangssprachlich,
unterhalb der Standardsprache, standardsprachlich, regional ...?
Vollkommen makellos. Die Position des "jetzt" ist leicht
markiert (gegenüber "Er hat die Wohnung jetzt wieder vermietet.").

Im umgangssprachlichen Tone würde man auf die Verdeutlichung
der Sub- und Objekte (von denen wohl schon die Rede war)
verzichten: "... und hat sie ('hatze') jetzt wieder vermietet.",
oder Füllwörter einfügen "... und dann hat er ('hatta') sie
jetzt aber wieder vermietet ...". Insofern ist das explizite
"Er" und "die Wohnung", der Hauptsatzstil und das Fehlen
von Füllwörtern gehoben.
Post by Ralf Joerres
Und welches Tempus hätten wir da?
Ohne Nachdenken (intuitiv): Präsens. Verb: "Vermietet haben".

Mit Recherche: Perfekt (Indikativ oder Konjunktiv I.).
"Vermietet haben" ist der "Infinitiv Perfekt".

Analyse: Der Infinitiv Präsens "vermieten" bezeichnet des
Anbieten einer Wohnung auf dem Markt oder den Abschluß eines
Mietvertrags. Der Infinitv Perfekt "vermietet haben"
bezeichnet den Zustand /nach/ Abschluß eines Mietvertrags als
/gegenwärtigen/ Zustand und kann hinsichtlich des Bestehen
jenes Zustands semantisch als gegenwärtig ("präsent") angesehen
werden, auch wenn die Form Perfekt ist. Natürlich ergibt
sich der Perfekt daraus, daß es der Zustand /nach/ (dem
durch das Verb bezeichneten) Abschluß eines Mietvertrags ist.
Helmut Richter
2018-05-13 19:37:21 UTC
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Post by Ralf Joerres
Es geht um den Satz: 'Er hat jetzt die Wohnung wieder vermietet.'
Wie ist er stilistisch einzuordnen - salopp, normal umgangssprachlich,
unterhalb der Standardsprache, standardsprachlich, regional ...?
Und welches Tempus hätten wir da?
Da die Betonung darauf liegt, dass die Wohnung *jetzt* vermietet ist, ist
der Satz einschließlich des Tempus richtig und kaum ein anderes denkbar.

Ginge es nur um die Aussage, dass eine Vermietung stattgefunden hat, egal
ob die heute noch besteht, wäre das Präteritum richtig, etwa:

Danach vermietete er die Wohnung wieder.

Hier ein Perfekt zu setzen, käme mir leicht umgangssprachlich vor, einem
N-Deutschen vielleicht stark ugs.

Aber sind das nicht Standardfälle für den allernormalsten Gebrauch dieser
Tempora? (Ich setze mich nicht in die Nesseln und sage "den einzig
richtigen Gebrauch" - es ist komplexer.)
--
Helmut Richter
Stefan Schmitz
2018-05-13 19:46:24 UTC
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Post by Helmut Richter
Post by Ralf Joerres
Es geht um den Satz: 'Er hat jetzt die Wohnung wieder vermietet.'
Wie ist er stilistisch einzuordnen - salopp, normal umgangssprachlich,
unterhalb der Standardsprache, standardsprachlich, regional ...?
Und welches Tempus hätten wir da?
Da die Betonung darauf liegt, dass die Wohnung *jetzt* vermietet ist, ist
der Satz einschließlich des Tempus richtig und kaum ein anderes denkbar.
Mir kam der Satz im ersten Moment komisch vor: normalerweise hätte ich das
'jetzt' hinter die Wohnung gesetzt.
Aber das ist vermutlich nur persönliche Vorliebe und beruht nicht auf einer
Regel.
Ralf Joerres
2018-05-13 20:09:02 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Post by Helmut Richter
Post by Ralf Joerres
Es geht um den Satz: 'Er hat jetzt die Wohnung wieder vermietet.'
Wie ist er stilistisch einzuordnen - salopp, normal umgangssprachlich,
unterhalb der Standardsprache, standardsprachlich, regional ...?
Und welches Tempus hätten wir da?
Da die Betonung darauf liegt, dass die Wohnung *jetzt* vermietet ist, ist
der Satz einschließlich des Tempus richtig und kaum ein anderes denkbar.
Mir kam der Satz im ersten Moment komisch vor: normalerweise hätte ich das
'jetzt' hinter die Wohnung gesetzt.
Aber das ist vermutlich nur persönliche Vorliebe und beruht nicht auf einer
Regel.
Ist schon interessant. Das ist wahrscheinlich vom Kontext beeinflusst.
Ich hatte mir das so vorgestellt: Er hat eine Weile selbst in der Wohnung
gewohnt, und jetzt hat er sie wieder vermietet (wie auch vor der Eigen-
bedarfsnutzung schon einmal).

Meine Frage könnte auch so gestellt werden: Was bedeutet das 'jetzt'
in beiden Versionen genau? Gibt es in beiden Sätzen eine Aussage darüber,
wann die Wohnung vermietet wurde, und sei es nur als sehr vage Infor-
mation?

Oder, anders gefragt: Sind das Sätze im Perfekt?

Ralf Joerres
Stefan Ram
2018-05-13 20:22:31 UTC
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Post by Ralf Joerres
Meine Frage könnte auch so gestellt werden: Was bedeutet das 'jetzt'
in beiden Versionen genau?
"Jetzt" kann man eigentlich immer hinzufügen, es kann
nämlich einfach nur bedeuten, daß die Aussage zum jetzigen
Zeitpunkt aktuell ist.

Präsens: "Jetzt spricht er." = "Er spricht".

Futur: "Jetzt wird er nach Südamerika reisen." = "Er wird
nach Südamerika reisen.". D.h., "Zum jetzigen Zeitpunkt ist
der Zustand so, daß sein Reisen nach Südamerika zukünftig
ist.".

Perfekt: "Jetzt hat er gesprochen." = "Er hat gesprochen.".
D.h., "Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Zustand so, daß sein
Sprechen in der Vergangenheit liegt."

Das "jetzt" ist ein vager Hinweis, der gedeutet werden muß,
oder eine Betonung der Gegenwärtigkeit oder ein Verbindung
zu Zuvorgesagtem (im Sinne von "... und jetzt ..."), aber
auf der ersten Schicht der Semantik zunächst einmal redundant.
U***@web.de
2018-05-13 20:34:49 UTC
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Post by Ralf Joerres
Meine Frage könnte auch so gestellt werden: Was bedeutet das 'jetzt'
in beiden Versionen genau? Gibt es in beiden Sätzen eine Aussage darüber,
wann die Wohnung vermietet wurde, und sei es nur als sehr vage Infor-
mation?
Zwischen den Zeilen mag stehen, daß die Wohnung
eine Zeitlang ungenutzt war oder mietfrei benutzt wurde.
Post by Ralf Joerres
Oder, anders gefragt: Sind das Sätze im Perfekt?
Ja doch.

Gruß, ULF
Ralf Joerres
2018-05-14 07:38:23 UTC
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Post by U***@web.de
Post by Ralf Joerres
Meine Frage könnte auch so gestellt werden: Was bedeutet das 'jetzt'
in beiden Versionen genau? Gibt es in beiden Sätzen eine Aussage darüber,
wann die Wohnung vermietet wurde, und sei es nur als sehr vage Infor-
mation?
Zwischen den Zeilen mag stehen, daß die Wohnung
eine Zeitlang ungenutzt war oder mietfrei benutzt wurde.
Post by Ralf Joerres
Oder, anders gefragt: Sind das Sätze im Perfekt?
Ja doch.
Ich staune. Noch mal die Frage: Was bedeutet das 'jetzt', für Dich,
und könnte es möglicherweise auch etwas anderes bedeuten? Du liest
es wahrscheinlich als dasselbe 'jetzt' wie in 'Ich habe mir jetzt
eine Wohnung gekauft.'

Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit

Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.

Gruß Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2018-05-14 08:36:19 UTC
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Wie wär's mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
1. Der zum Grübeln neigende Leser erkennt zunächst die Tragik einer
Antinomie, die darin besteht, daß das bedauernswerte Subjekt des
Satzes einerseits das Ziel verfolgte, in Ruhe arbeiten zu können,
aber dabei doch gleichzeitig "immer" und "über den ganzen Tag hin"
(vulgo "tagsüber") damit beschäftigt war, das Telefon abzustellen.

2. Der in Jahrzehnten geübte Sinnsucher folgert daraus, daß jener
arme Mensch, eben weil er tags immer vollauf damit beschäftigt war,
das Telefon abzustellen, nur noch nachts zum Arbeiten kam.

3. Der mit der Fähigkeit zur Empathie auch mit nur literarischen
Figuren gesegnete Kunstgenießer hofft und wünscht, daß nun bitte
keiner auf den Gedanken möchte gekommen sein, während der Nacht,
solange das Telefon nicht abgestellt war, den in Ruhe Arbeitenden
anzurufen.
--
j/\a
Ralf Joerres
2018-05-14 10:13:45 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Wie wär's mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
1. Der zum Grübeln neigende Leser erkennt zunächst die Tragik einer
Antinomie, die darin besteht, daß das bedauernswerte Subjekt des
Satzes einerseits das Ziel verfolgte, in Ruhe arbeiten zu können,
aber dabei doch gleichzeitig "immer" und "über den ganzen Tag hin"
(vulgo "tagsüber") damit beschäftigt war, das Telefon abzustellen.
2. Der in Jahrzehnten geübte Sinnsucher folgert daraus, daß jener
arme Mensch, eben weil er tags immer vollauf damit beschäftigt war,
das Telefon abzustellen, nur noch nachts zum Arbeiten kam.
3. Der mit der Fähigkeit zur Empathie auch mit nur literarischen
Figuren gesegnete Kunstgenießer hofft und wünscht, daß nun bitte
keiner auf den Gedanken möchte gekommen sein, während der Nacht,
solange das Telefon nicht abgestellt war, den in Ruhe Arbeitenden
anzurufen.
Man kann's mit dem Grübeln auch übertreiben. Eigentlich stelle mir
die Sache hier sehr viel einfacher vor. Warten wir mal ab, was anderen
dazu einfallen mag. Ich fürchte jedoch, dass hier wieder mal ohne
Entdeckerfreude und Forschergeist eine grobmaschige alte Regel auf ein
dafür nicht taugendes neues Objekt angewendet wurde, was in einer herrlich
verqueren und sinnzerstörenden Interpretation des Satzes mündet - wofür
man Dir andererseits wieder dankbar sein muss, da dies eindrucksvoll
belegt, dass solche Rettungsversuche überkommener Anschauungen oft
zu nichts weiter führen als zu Rohrkrepierern.

Da bei Dir andererseits der Schalk im Nacken und der Geist des Widerspruchs ein eigensinniges Konkubinat führen, weiß ich nie so genau, wie ernst es
Dir mit derartigen Anwürfen ist. Es könnte alles auch nur ein provokanter
Nonsense gewesen sein, eine bewundernswerte Mischung aus Ernsthaftigkeit
in logisch-präziser Beweisführung und in aller Unschuld abgeleiteter
Absurdität der Conclusio.

Man verwickelt sich da wieder in Geschichten...

Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2018-05-14 12:23:53 UTC
Permalink
Man kann's mit dem Grübeln auch übertreiben. [..]
Man verwickelt sich da wieder in Geschichten...
'Er hat jetzt die Wohnung wieder vermietet.'
Wie ist er stilistisch einzuordnen - salopp, normal umgangssprachlich,
unterhalb der Standardsprache, standardsprachlich, regional ...?
Und welches Tempus hätten wir da?
Schon nach dieser ersten Frage war ich versucht zu antworten:
Das ist ein hochpoetischer daktylischer Viertakter mit Auftakt
und einem Spondeus (statt des Daktylus) im zweiten Takt. Er
steht formal im Perfekt ['er hat vermietet']. Dieses besagt
aber im Zusammenhang mit dem "jetzt", daß durch den vorher
abgeschlossenen, aber in die Erzählgegenwart hineinwirkenden
Vorgang der Vermietung der augenblickliche Zustand des Vermietet-
Habens hergestellt ist. Das Ganze ist also eine genuin epische,
das heißt zeitübergreifende Aussage, die durch ihre ebenmäßige
Rhythmisierung eine zusätzliche lyrische, den Gefühlszustand
des Satz-Subjekts abbildende Qualität bekommt.

Nun mag der Eine oder Andere einwenden, danach sei gar nicht
gefragt gewesen. Dem will ich nicht widersprechen. Aber: Wonach
denn dann, wenn ein so bescheiden-unscheinbarer Satz mit solchen
Vorgaben, aber ganz ohne Kontext in die Diskussion geworfen wird?
--
;) j/\a
Ralf Joerres
2018-05-15 11:08:25 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Man kann's mit dem Grübeln auch übertreiben. [..]
Man verwickelt sich da wieder in Geschichten...
'Er hat jetzt die Wohnung wieder vermietet.'
Wie ist er stilistisch einzuordnen - salopp, normal umgangssprachlich,
unterhalb der Standardsprache, standardsprachlich, regional ...?
Und welches Tempus hätten wir da?
Das ist ein hochpoetischer daktylischer Viertakter mit Auftakt
und einem Spondeus (statt des Daktylus) im zweiten Takt. Er
steht formal im Perfekt ['er hat vermietet']. Dieses besagt
aber im Zusammenhang mit dem "jetzt", daß durch den vorher
abgeschlossenen, aber in die Erzählgegenwart hineinwirkenden
Vorgang der Vermietung der augenblickliche Zustand des Vermietet-
Habens hergestellt ist.
Na denk mal an, ist es also doch einem aufgefallen: formal im Perfekt
zur Bezeichnung eines augenblicklichen Zustands. Ja darf dat denn?
Wäre es nicht nunmehr angezeigt, wieder die Zuchtrute hervorzuholen?
Post by Jakob Achterndiek
(... viel Kluges, jedenfalls klug Tönendes ...)
Nun mag der Eine oder Andere einwenden, danach sei gar nicht
gefragt gewesen. Dem will ich nicht widersprechen. Aber: Wonach
denn dann, wenn ein so bescheiden-unscheinbarer Satz mit solchen
Vorgaben, aber ganz ohne Kontext in die Diskussion geworfen wird?
Tscha. Du hast es gesagt, aber im Überschwall Deiner Ergießungen ist
es Dir nur so rausgerutscht und wurde gleich wieder fortgeschwemmt.
Im Unterricht sagt ein Lehrer bei sowas: Wiederhole noch mal, was Du
da gerade gesagt hast. Das macht dann einen gewissen dramatischen
Effekt und jeder in der Klasse startet für sich ein kleines Rätsel-
spiel: Worum geht es hier verdammt nochmal? Was hat jetzt schon wieder?

Er hat das 'Perfekt', das ein Präsens ist. Ich mag sie ja so, diese
Wölfe im Schafspelz, mit denen man die traditionelle Grammatik ein
wenig durchschütteln kann...

Gruß Ralf Joerres
U***@web.de
2018-05-15 11:09:57 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Na denk mal an, ist es also doch einem aufgefallen: formal im Perfekt
zur Bezeichnung eines augenblicklichen Zustands.
Und ich dachte, Du könntest bis zwei zählen.

Gruß, ULF
Ralf Joerres
2018-05-15 21:23:23 UTC
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Post by U***@web.de
Post by Ralf Joerres
Na denk mal an, ist es also doch einem aufgefallen: formal im Perfekt
zur Bezeichnung eines augenblicklichen Zustands.
Und ich dachte, Du könntest bis zwei zählen.
Hat wahrscheinlich mit der Reihenfolge zu tun, mit der Google mit die
Postings serviert. Ich les die immer von oben runter und schreib
sofort, wenn mir was einfällt. Manchmal hab ich keine Zeit, erst den
ganzen Thread bis zum Ende zu lesen, darauf will ich's nicht ankommen
lassen. Kann auch sein, ich hatte es nicht geschnallt. Nicht böse sein.

Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2018-05-15 12:41:41 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Na denk mal an, ist es also doch einem aufgefallen: formal im Perfekt
zur Bezeichnung eines augenblicklichen Zustands. Ja darf dat denn?
Wäre es nicht nunmehr angezeigt, wieder die Zuchtrute hervorzuholen?
:)
In der eitlen Hoffnung, daß danach auch dir die Klarheit des Herrn
ein bißchen ins Hirn funzeln wird, setze ich meine vier Wochen alte
Erklärung zu den in der deutschen Grammatik gebrauchten Tempüssen ;)
der Vergangenheit noch einmal ungekürzt hierher - und empfehle, den
Absatz 3. zweimal zu lesen:

----------------------------------------------------------------------
Post by Ralf Joerres
[..] Ein Beispiel für
einen Fehlgriff dieser Art ist der Begriff "Imperfekt" für
dasjenige der deutschen Tempora, das wie kaum ein anderes
im Deutschen für abgeschlossene Handlungen steht.
Diesen Vorwurf haben die alten Mönchslateiner nicht verdient!

1.
Deine landläufige Fehl-Übersetzung beruht auf einem Irrtum nach
folgenden Muster. A sagt zu B: "Dat hasse gut gemacht, dat is perfekt."
Aber zu C sagt er: "Da musse noch 'n büschen was dran tun, dat is, wie
der Lateiner sagt, noch imperfekt."
Dies _könnte_ so eine schöne Eselsbrücke sein. Aber immer, wenn dir die
einfällt, dann soll es in deinem Hinterkopfe klingeln: "So ist es
falsch. So ist es falsch! *Falsch!* _*FALSCH!!!"_

2.
Eine richtige Erklärung versuche ich mal über einen Umweg, weil das
gewählte Umweg-Wort allgemein bekannt sein dürfte. Lat. maneo, mansi,
mansum heißt "bleiben". Als das deutsche Partizip dazu hat sich
"permanent" eingebürgert. Das lat. "per" darin dient, nach Georges
Lat.Wb., "in bezug auf die Zeit zur Bezeichnung der _ununterbrochenen_
_Fortdauer_". Was per-manent ist, das bleibt auf ewig!

3.
Dieselbe Bedeutung hat das "per" im Perfekt: Was passiert ist, das ist
ein Fakt. Für Nicht-Lateiner: "facere" heißt "machen", und was gemacht
ist, das ist "factum". Wenn aber das Gemachte eine in die Gegenwart
hinein fortdauernde Wirkung oder Folge hat (die bei Georges genannte
"ununterbrochene Fortdauer"), dann ist es ein "per-factum".

4.
Und wenn nicht, dann eben nicht. Dann ist das factum abgeschlossen,
wirkt nicht mehr: Es ist ein _nicht_mehr_per_ -factum. Und dazu sagten
die Mönche, mit lat. "in" verneinend, ganz richtig: "Im-perfekt."

5.
Statt daß die Jung-Grammatiker und Linguisten _das_ ihren Schülern
richtig erklärt hätten, haben sie lieber einen neuen Terminus erfunden:
"Praeter itum, das vorüber Gegangene. Das erklärt den armen Diszipeln
aber auch nicht, warum das Perfekt etwa _kein_ Vorübergegangenes sein
soll. - Sowas nennt man dann: Den Teufel mit Beelzebub austreiben.
--
j/\a
U***@web.de
2018-05-15 15:27:33 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
3.
Dieselbe Bedeutung hat das "per" im Perfekt: Was passiert ist, das ist
ein Fakt. Für Nicht-Lateiner: "facere" heißt "machen", und was gemacht
ist, das ist "factum". Wenn aber das Gemachte eine in die Gegenwart
hinein fortdauernde Wirkung oder Folge hat (die bei Georges genannte
"ununterbrochene Fortdauer"), dann ist es ein "per-factum".
4.
Und wenn nicht, dann eben nicht. Dann ist das factum abgeschlossen,
wirkt nicht mehr: Es ist ein _nicht_mehr_per_ -factum.
Goethe verstarb im Jahre...

Und doch ist er immer noch tot.
Ralf Joerres
2018-05-15 17:59:12 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Post by Ralf Joerres
Na denk mal an, ist es also doch einem aufgefallen: formal im Perfekt
zur Bezeichnung eines augenblicklichen Zustands. Ja darf dat denn?
Wäre es nicht nunmehr angezeigt, wieder die Zuchtrute hervorzuholen?
:)
In der eitlen Hoffnung, daß danach auch dir die Klarheit des Herrn
ein bißchen ins Hirn funzeln wird, setze ich meine vier Wochen alte
Erklärung zu den in der deutschen Grammatik gebrauchten Tempüssen ;)
der Vergangenheit noch einmal ungekürzt hierher - und empfehle, den
----------------------------------------------------------------------
Post by Ralf Joerres
[..] Ein Beispiel für
einen Fehlgriff dieser Art ist der Begriff "Imperfekt" für
dasjenige der deutschen Tempora, das wie kaum ein anderes
im Deutschen für abgeschlossene Handlungen steht.
Diesen Vorwurf haben die alten Mönchslateiner nicht verdient!
1.
Deine landläufige Fehl-Übersetzung beruht auf einem Irrtum nach
folgenden Muster. A sagt zu B: "Dat hasse gut gemacht, dat is perfekt."
Aber zu C sagt er: "Da musse noch 'n büschen was dran tun, dat is, wie
der Lateiner sagt, noch imperfekt."
Dies _könnte_ so eine schöne Eselsbrücke sein. Aber immer, wenn dir die
einfällt, dann soll es in deinem Hinterkopfe klingeln: "So ist es
falsch. So ist es falsch! *Falsch!* _*FALSCH!!!"_
2.
Eine richtige Erklärung versuche ich mal über einen Umweg, weil das
gewählte Umweg-Wort allgemein bekannt sein dürfte. Lat. maneo, mansi,
mansum heißt "bleiben". Als das deutsche Partizip dazu hat sich
"permanent" eingebürgert. Das lat. "per" darin dient, nach Georges
Lat.Wb., "in bezug auf die Zeit zur Bezeichnung der _ununterbrochenen_
_Fortdauer_". Was per-manent ist, das bleibt auf ewig!
3.
Dieselbe Bedeutung hat das "per" im Perfekt: Was passiert ist, das ist
ein Fakt. Für Nicht-Lateiner: "facere" heißt "machen", und was gemacht
ist, das ist "factum". Wenn aber das Gemachte eine in die Gegenwart
hinein fortdauernde Wirkung oder Folge hat (die bei Georges genannte
"ununterbrochene Fortdauer"), dann ist es ein "per-factum".
Schön erklärt. Also ist in der Schriftsprache das meiste immer
unwiderruflich vorbei, und im gesprochenen Deutsch dauert das meiste
immer noch irgendwie fort? (... als ich vor 10 Jahren aus Italien
zurückgekommen bin (mdl.) / zurückkam (schrl. ...) Ich bezweifle, dass
man mit einer solchen Erklärung weit kommt.

Auch als alter Lateiner wird man sich wohl damit abfinden müssen, dass
sich in den aktuellen europäischen Sprachen die Anwendung der Tempora
fundamental unterscheiden. Ich kann da nur für Französisch und Deutsch
sprechen und ansatzweise für Englisch, wo ich etwa die Standardregel
fürs present perfect ("Handlungen, die bis in die Gegenwart andauern,
eben erst abgeschlossenen Handlungen, sowie Handlungen, die zwar
abgeschlossen sind, jedoch noch Einfluss auf die Gegenwart haben", Wiki-
pedia) wohl nie checken werde. Von den slawischen Sprachen wollen wir
da mal gar nicht reden.

Das heißt für mich: Latein und Deutsch haben nichts miteinander zu tun.
Der entscheidende Vorteil der lateinischen grammatischen Bezeichnungen
ist gerade der, dass man sie unvorbelastet als Label für bestimmte
grammatische Kategorien nehmen kann, weil die meisten sie zum Glück
_nicht_ verstehen. 'Perfekt', neuerdings wohl 'Präsensperfekt', ist
besser als 'vollendete Gegenwart' oder 'Vorgegenwart'. Die von Dir
genannte Irreleitung durch das Adjektiv 'perfekt' stört allerdings
die Unvoreingenommenheit heutiger Lerner. In deklinierter Form hat
es sich lt. Google Ngram Viewer erst seit den 19-Vierzigern langsam
ausgebreitet und liegt erst neuerdings mit 'vollendete/r/n/s' einiger-
maßen gleichauf, 'vollkommene/r/n/s' ist in den meisten Kasus dort
immer noch häufiger. Aber so etwas lenkt jetzt auch nur ab.

Was daran stimmt: Die sog. Perfektformen enthalten ein finites Verb
im Präsens, sie sind also in ihrer Grundsubstanz erst einmal Präsens.
Sofort sieht man den Unterschied bei:

Er hat das Fenster geöffnet. [Es _ist_ geöffnet]
Er hatte das Fenster geöffnet. [Es _war_ geöffnet und ist wieder zu.]

So kann man denn die Sätze durchgehen:

Ich habe die Arbeit am Roman abgeschlossen. [Er ist fertig.]
Ich habe schon gegessen. [Ich brauche jetzt nichts mehr.]
Ich bin aufgestanden / auf [und liege nicht mehr im Bett.]
Post by Jakob Achterndiek
4.
Und wenn nicht, dann eben nicht. Dann ist das factum abgeschlossen,
wirkt nicht mehr: Es ist ein _nicht_mehr_per_ -factum. Und dazu sagten
die Mönche, mit lat. "in" verneinend, ganz richtig: "Im-perfekt."
Spätestens wenn Vergangenheitsadverbien hinzutreten, funktioniert
das mit dem präsentischen Perfekt so nicht mehr, beim Präteritum /
Imperfekt gab es das von vorneherein nicht [von Fällen wie 'ich war
die Bratwurst / Wie war nochmal der Name? usw. abgesehen]:

Ich hab gestern einen Autounfall gehabt - und
Ich hatte gestern einen Autounfall

sind gleichbedeutend. Beide sind vorbei, der das Auto wurde abgeschleppt,
das Protokoll ist aufgenommen, heute arbeite ich wieder, nix mehr mit
wirkt heute noch nach vs. hat heute keine Wirkung mehr, und darum geht's,
nicht um eine unglückliche oder stimmige Wortwahl bei der Bezeichnung der
Tempora. Da bin ich ganz unromantisch.
Post by Jakob Achterndiek
5.
Statt daß die Jung-Grammatiker und Linguisten _das_ ihren Schülern
"Praeter itum, das vorüber Gegangene. Das erklärt den armen Diszipeln
aber auch nicht, warum das Perfekt etwa _kein_ Vorübergegangenes sein
soll. - Sowas nennt man dann: Den Teufel mit Beelzebub austreiben.
Ich glaube, für eine Erörterung der Unterschiede zwischen Perfekt und
Präteritum müsste ich dazu erst mal die älteren Beiträge hier lesen.
Dafür hab ich wohl nicht die Zeit. Sowieso haben wir da im Deutschen
kein einheitliches System, da unterscheiden sich mündlich und schrift-
lich, und auch norddeutsch und süddeutsch.

Das ist eine Antwort aus dem Handgelenk. Wenn ich dazu lese, komm mit
Sicherheit noch etwas anderes dabei heraus.

Gruß Ralf Joerres
Stefan Ram
2018-05-15 21:12:21 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Schön erklärt. Also ist in der Schriftsprache das meiste immer
unwiderruflich vorbei, und im gesprochenen Deutsch dauert das meiste
immer noch irgendwie fort?
Woher weißt Du denn, daß der Imperfekt in gesprochener
Sprache so selten ist oder wie er dort verwendet wird?

Ich habe mal nach einer Transkription gesprochener Sprache
gesucht. In der ersten, die ich zufällig fand (aus einer
Nachmittagstalkshow mit Menschen aus dem normalen Volke):

|Ch: Sylvia, Sie waren einundzwanzig, als Sie geheiratet haben,
|waren damals schwanger, aber nicht von ihrem Mann. Der wußte
|das?
|
|S: Ja, mein Mann kam aus Ungarn, und ich hab ihn, also ich hab
|ihn seit dem 10. Lebensjahr kennengelernt durch meinen
|verstorbenen Bruder, weil auch meine Verwandten in Ungarn
|wohnten und wir jedes Jahr darüber fuhren, als mein Vater
|gestorben ist. Ich sagte ihm, daß ich von jemand anders
|schwanger war, aber ihm war es egal, er wollte unbedingt nach
|Deutschland, und war damit einverstanden. ...

Man sieht ein komplexes Wechselspiel zwischen Imperfekt und
Perfekt, aber vorwiegend Imperfekt. Dies wäre weiter zu
untersuchen.

Siehe vielleicht (ich kenne den Inhalt nicht) auch:

Sieberg, Bernd (1984): Perfekt und Imperfekt in der
gesprochenen Sprache

.
U***@web.de
2018-05-14 12:12:18 UTC
Permalink
Moin,
Post by Ralf Joerres
Post by U***@web.de
Post by Ralf Joerres
Meine Frage könnte auch so gestellt werden: Was bedeutet das 'jetzt'
in beiden Versionen genau? Gibt es in beiden Sätzen eine Aussage darüber,
wann die Wohnung vermietet wurde, und sei es nur als sehr vage Infor-
mation?
Zwischen den Zeilen mag stehen, daß die Wohnung
eine Zeitlang ungenutzt war oder mietfrei benutzt wurde.
Post by Ralf Joerres
Oder, anders gefragt: Sind das Sätze im Perfekt?
Ja doch.
Ich staune. Noch mal die Frage: Was bedeutet das 'jetzt', für Dich,
Das ist nun, noch immer aktuell, ein Mieter drin, der
vor vergleichbar kurzer Zeit gemietet hat.
Post by Ralf Joerres
und könnte es möglicherweise auch etwas anderes bedeuten? Du liest
es wahrscheinlich als dasselbe 'jetzt' wie in 'Ich habe mir jetzt
eine Wohnung gekauft.'
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das sehe ich eher als süddeutsche Präteritumersatzform.

Gruß, ULF
Ralf Joerres
2018-05-15 11:13:46 UTC
Permalink
Post by U***@web.de
Moin,
Post by Ralf Joerres
Post by U***@web.de
Post by Ralf Joerres
Meine Frage könnte auch so gestellt werden: Was bedeutet das 'jetzt'
in beiden Versionen genau? Gibt es in beiden Sätzen eine Aussage darüber,
wann die Wohnung vermietet wurde, und sei es nur als sehr vage Infor-
mation?
Zwischen den Zeilen mag stehen, daß die Wohnung
eine Zeitlang ungenutzt war oder mietfrei benutzt wurde.
Post by Ralf Joerres
Oder, anders gefragt: Sind das Sätze im Perfekt?
Ja doch.
Ich staune. Noch mal die Frage: Was bedeutet das 'jetzt', für Dich,
Das ist nun, noch immer aktuell, ein Mieter drin, der
vor vergleichbar kurzer Zeit
... vor vergleichbarer kurzer Zeit?? Vergleichbar mit was?
Post by U***@web.de
gemietet hat.
Post by Ralf Joerres
und könnte es möglicherweise auch etwas anderes bedeuten? Du liest
es wahrscheinlich als dasselbe 'jetzt' wie in 'Ich habe mir jetzt
eine Wohnung gekauft.'
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das sehe ich eher als süddeutsche Präteritumersatzform.
Ich kann kein Süddeutsch, ich nehme meine Sätze aus meiner Umgebung.
Ist das auch Perfekt? Mit '(jetzt) immer'? (das 'jetzt' ist implizit)

Gruß Ralf Joerres
Christina Kunze
2018-05-14 15:41:21 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Post by U***@web.de
Post by Ralf Joerres
Meine Frage könnte auch so gestellt werden: Was bedeutet das 'jetzt'
in beiden Versionen genau? Gibt es in beiden Sätzen eine Aussage darüber,
wann die Wohnung vermietet wurde, und sei es nur als sehr vage Infor-
mation?
Zwischen den Zeilen mag stehen, daß die Wohnung
eine Zeitlang ungenutzt war oder mietfrei benutzt wurde.
Post by Ralf Joerres
Oder, anders gefragt: Sind das Sätze im Perfekt?
Ja doch.
Ich staune. Noch mal die Frage: Was bedeutet das 'jetzt', für Dich,
und könnte es möglicherweise auch etwas anderes bedeuten? Du liest
es wahrscheinlich als dasselbe 'jetzt' wie in 'Ich habe mir jetzt
eine Wohnung gekauft.'
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Erste Überlegung:
Ich sehe (bei beiden Beispielen) zwei verschiedene Möglichkeiten.

1. Er hat die Wohnung vermietet, und danach war sie vermietet - hier ist
das Partizip Teil des finiten Verbs im Perfekt: Er hat sie gekauft, er
hat sie vermietet, er hat sie geputzt.

2. Er hat die Wohnung vermietet, die Wohnung ist in vermietetem Zustand
- hier gehört das Partizip als Modaladverbial zur Wohnung, nach dem
Muster: Er hat die Wohnung sauber = Seine Wohnung ist sauber.

chr
Stefan Schmitz
2018-05-14 20:56:51 UTC
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Post by Ralf Joerres
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das Partizip
einen Zustand, wie "aus".

U.U. könnte man auch dein "vermietet" aus dem OP so verstehen.
Ralf Joerres
2018-05-15 11:14:35 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das Partizip
einen Zustand, wie "aus".
U.U. könnte man auch dein "vermietet" aus dem OP so verstehen.
Ja, darum ging's mir. RJ
Jakob Achterndiek
2018-05-15 12:08:59 UTC
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Post by Ralf Joerres
Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das
Partizip einen Zustand, wie "aus".
U.U. könnte man auch dein "vermietet" aus dem OP so verstehen.
Ja, darum ging's mir. RJ
Der konservative Grammatiker seufzt dazu resigniert:
Die New-Speech-Linguistiker wollen das offenbar nicht kapieren und
erfinden lieber (siehe "nur scheinbares Perfekt") abenteuerliche
Hilfs-Erklärungen; aber *genau das* ist doch das Prinzip des Perfekt
[Doppelpunkt]: Es bezeichnet eine in der Vergangenheit geschehene
und abgeschlossene Handlung, deren *Auswirkungen* *in* *der* *Erzähl-*
*gegenwart* *fortwirken*. (Siehe dazu meine am 19.04. hier angebotene
Erklärung zum "per-factum")
--
j/\a
Ralf Joerres
2018-05-15 18:03:57 UTC
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Post by Jakob Achterndiek
Post by Ralf Joerres
Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das
Partizip einen Zustand, wie "aus".
U.U. könnte man auch dein "vermietet" aus dem OP so verstehen.
Ja, darum ging's mir. RJ
Die New-Speech-Linguistiker wollen das offenbar nicht kapieren und
erfinden lieber (siehe "nur scheinbares Perfekt") abenteuerliche
Hilfs-Erklärungen; aber *genau das* ist doch das Prinzip des Perfekt
[Doppelpunkt]: Es bezeichnet eine in der Vergangenheit geschehene
und abgeschlossene Handlung, deren *Auswirkungen* *in* *der* *Erzähl-*
*gegenwart* *fortwirken*. (Siehe dazu meine am 19.04. hier angebotene
Erklärung zum "per-factum")
Wie Du in meinem anderen Kommentar dazu lesen kannst, treffen wir uns
durchaus in mindestens einem Punkt. Aber im Großen und Ganzen halte ich
das mit den fortwirkenden Auswirkungen in der Erzähl-Gegenwart für
- sorry - sone Art Hokuspokus auf gehobenem Niveau. Jedoch: Ich werd'
noch mal in mich gehen, das mit der Erzählgegenwart ist durchaus ein
Punkt, der genauer zu betrachten wäre.

Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2018-05-15 21:25:53 UTC
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[..] Aber im Großen und Ganzen halte ich das [..] für - sorry -
sone Art Hokuspokus auf gehobenem Niveau. [..]
Ich habe dir schon bei früherer Gelegenheit die folgende Antwort
gegeben. Der will ich jetzt gar nichts hinzufügen. Sie benennt
jedenfalls, warum wir uns nicht werden einigen können.

Zitat vom 09.04.2018:
-------------------------------------------------------------------
Zur Sache selbst: Grammatik ist eine ideologie-fixierte Wissenschaft.
Alle ihre Klassifizierungen verlangen eine Vor-Entscheidung - oder
wenigstens eine Reflexion - über die Maßstäbe, nach denen das zu
geschehen habe. Zwei einander entgegenstehende Maßstäbe sind dabei
die Berufung entweder auf die Masse der "Sprach-User" oder auf die
Texte namhafter Schriftsteller. Welchem der Maßstäbe ich folgen will,
ist eine Geschmacks- und Gewissensentscheidung.

Dabei können sich unter den Grammatikern wie unter den Nur-Sprechern
sozusagen Sprachparteien bilden. Innerhalb jeder dieser Parteien lassen
sich die vorweg getroffenen Setzungen als Gesetze formulieren. Für die
Vertreter der jeweiligen Gegenpartei sind diese jedoch unverbindlich.
Wenn die Parteien also gegeneinander streiten, dann haben sie keine
gemeinsam verbindlichen Maßstäbe, also keine gemeinsame vernünftige
Argumentationsbasis, und also können sie sich nur sach- und fachfremd
beschimpfen.

Es sei denn, jemand dränge als Agent Provokateur in die Gegenpartei
ein und zersetze deren Regelsystem von innen. Da behaupte ich nun,
das sei bei den Linguistikern einfacher: Deren Methoden bieten so
viele Angriffsflächen, die halten ihre eigenen Flanken so weit offen
und sind so sehr mit eigenen inneren Querelen beschäftigt, daß wir
Konservativen uns ruhig in den Hölderlin-Sessel zurücklehnen können:
"Was bleibet aber stiften die Dichter." Unsere Satz-Modeln haben die
Weihe des Inhalts in sich - und für sich.

Und wenn nicht? Nun, Minnesangs Frühling und Artus-Epik mußten auch
erst von den Romantikern wiederentdeckt werden, nachdem das Land ein
paar hundert Jahre nur mit Hans Sachsens und etlicher anderer Harle-
kinaden hatte auskommen müssen. Bis es wieder soweit ist, haben
vielleicht sogar die Chomskynesen ihre Weltgrammatik fertig.
-------------------------------------------------------------------
Zitat Ende.

Den letzten Absatz darfst du meinetwegen wieder als den früher
erwähnten Spritzer Tabasco nehmen.
--
j/\a
Helmut Richter
2018-05-15 22:19:46 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
-------------------------------------------------------------------
Zur Sache selbst: Grammatik ist eine ideologie-fixierte Wissenschaft.
Alle ihre Klassifizierungen verlangen eine Vor-Entscheidung - oder
wenigstens eine Reflexion - über die Maßstäbe, nach denen das zu
geschehen habe. Zwei einander entgegenstehende Maßstäbe sind dabei
die Berufung entweder auf die Masse der "Sprach-User" oder auf die
Texte namhafter Schriftsteller. Welchem der Maßstäbe ich folgen will,
ist eine Geschmacks- und Gewissensentscheidung.
So ist es. Der uralte Konflikt zwischen Deskriptivisten ("Sprache ist, was
von den Sprechern benutzt wird und Regeln sollen die Sprache beschreiben")
und Präskriptivisten ("Sprache ist, was von den Regeln definiert wird und
die Sprecher haben sich danach zu richten").

Sehr weitgehend ist das ein Konflikt zwischen Fortschrittsgläubigen ("Jede
Änderung ist ein Fortschritt" oder besser ausgedrückt "Jeder Fortschritt
führt in die erwünschte Richtung") und Traditionalisten ("Jede Veränderung
ist ein Verfall"), was sich schon daraus ergibt, dass man sich bei den
namhaften Schriftstellern notwendig an denen vergangener und nicht kommender
Zeiten orientiert. Dann gibt es noch fortschrittsgläubige Präskriptivisten
("Wir machen neue Regeln um die Sprache zu verbessern") wie die GenderInnen
und Newspeaker, sowie auch traditionsbewusste Deskriptivisten ("Wenn die
Sprache schon vor die Hunde geht, lernen wir wenigstens, wie gut sie früher
mal war").

Ich finde alle vier Ecken zu ungemütlich, als dass ich es mich darin
einrichten wollte.

--
Helmut Richter
Ralf Joerres
2018-05-17 14:42:02 UTC
Permalink
Post by Helmut Richter
Post by Jakob Achterndiek
-------------------------------------------------------------------
Zur Sache selbst: Grammatik ist eine ideologie-fixierte Wissenschaft.
Alle ihre Klassifizierungen verlangen eine Vor-Entscheidung - oder
wenigstens eine Reflexion - über die Maßstäbe, nach denen das zu
geschehen habe. Zwei einander entgegenstehende Maßstäbe sind dabei
die Berufung entweder auf die Masse der "Sprach-User" oder auf die
Texte namhafter Schriftsteller. Welchem der Maßstäbe ich folgen will,
ist eine Geschmacks- und Gewissensentscheidung.
So ist es. Der uralte Konflikt zwischen Deskriptivisten ("Sprache ist, was
von den Sprechern benutzt wird und Regeln sollen die Sprache beschreiben")
und Präskriptivisten ("Sprache ist, was von den Regeln definiert wird und
die Sprecher haben sich danach zu richten").
Sehr weitgehend ist das ein Konflikt zwischen Fortschrittsgläubigen ("Jede
Änderung ist ein Fortschritt" oder besser ausgedrückt "Jeder Fortschritt
führt in die erwünschte Richtung") und Traditionalisten ("Jede Veränderung
ist ein Verfall"), was sich schon daraus ergibt, dass man sich bei den
namhaften Schriftstellern notwendig an denen vergangener und nicht kommender
Zeiten orientiert. Dann gibt es noch fortschrittsgläubige Präskriptivisten
("Wir machen neue Regeln um die Sprache zu verbessern") wie die GenderInnen
und Newspeaker, sowie auch traditionsbewusste Deskriptivisten ("Wenn die
Sprache schon vor die Hunde geht, lernen wir wenigstens, wie gut sie früher
mal war").
Ich finde alle vier Ecken zu ungemütlich, als dass ich es mich darin
einrichten wollte.
Das verstehe ich als nette Glosse mit einigen textsortentypischen
Zuspitzungen, für mich gut getroffen.

Ralf Joerres
Ralf Joerres
2018-05-16 08:36:15 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
[..] Aber im Großen und Ganzen halte ich das [..] für - sorry -
sone Art Hokuspokus auf gehobenem Niveau. [..]
Ich habe dir schon bei früherer Gelegenheit die folgende Antwort
gegeben. Der will ich jetzt gar nichts hinzufügen. Sie benennt
jedenfalls, warum wir uns nicht werden einigen können.
Dass wir uns in vielem nicht einigen werden, ist keine Tragödie. In
einem Radiobeitrag über Gottesbeweise sagte der Studiogast - Name
entfallen - den für mich beim ersten Hören verblüffenden Satz, dass
ein reflektierter Gläubiger und ein kluger Atheist sich näher stehen
als derselbe Gläubige einem dummen Glaubensbruder. Im Nachklang fand
ich den Satz sehr treffend. Ich denke, dass wir - ohne mir damit das
Etikett 'klug' anmaßen zu wollen, aber ganz dumm und naiv bin ich denn
wahrscheinlich doch nicht - mit viel Gewinn miteinander streiten können,
und das ist für mich der entscheidende Pluspunkt. Außerdem sind wir
uns auch mental in einigem ähnlich, wie mir scheint: Wir sind ziemlich
autark, konfliktaffin, zäh und bereit, für ein Verstehen Energie zu
investieren.

Was die - wie nanntest Du es noch? - Kurzdefinition Deines Selbstver-
ständnisses als (auch) Grammatik Betreibenden angeht, so dachte ich
damals, als ich es las, das sei mir alles viel zu einfach. Ich kann
das jetzt nicht weiter ausführen, später.

Mit sehr wohlgewogenen* Grüßen

Ralf Joerres

Als meine Mutter ein kleines Mädchen war, wurden alle Lebensmittel un-
verpackt verkauft. Mein Opa schärfte ihr ein, wenn sie einkaufen
geschickt wurde, dem Verkäufer zu sagen, er solle 'gut wiegen, es sei
für einen Kranken.' Meiner Mutter war das sehr unangenehm, aber sie
fürchtete, nachträglich aufzufliegen, wenn sie diese Anweisung in den
Wind schlug, und so machte sie ihre Bestellung wohl oder über wie
aufgetragen.
Ralf Joerres
2018-05-17 14:37:01 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
[..] Aber im Großen und Ganzen halte ich das [..] für - sorry -
sone Art Hokuspokus auf gehobenem Niveau. [..]
Ich habe dir schon bei früherer Gelegenheit die folgende Antwort
gegeben
... zu der ich ein paar Überlegungen meinerseits zurückmelden möchte.
Post by Jakob Achterndiek
... Sie benennt
jedenfalls, warum wir uns nicht werden einigen können
-------------------------------------------------------------------
Zur Sache selbst: Grammatik ist eine ideologie-fixierte Wissenschaft.
Nein. Grammatik ist eine empirische Wissenschaft. Sie geht von realen
sprachlichen Manifestationen aus und versucht, diese zu beschreiben
und zu erklären. Wahrscheinlich trennen sich bereits hier unsere Wege,
da für Dich der Gesichtspunkt der Bewertung von Anfang an die Marsch-
richtung vorgibt, wohingegen die grammatische Wissenschaft erst einmal
versucht, das Vorgefundene zu analysieren.
Post by Jakob Achterndiek
Alle ihre Klassifizierungen verlangen eine Vor-Entscheidung - oder
wenigstens eine Reflexion - über die Maßstäbe, nach denen das zu
geschehen habe. Zwei einander entgegenstehende Maßstäbe sind dabei
die Berufung entweder auf die Masse der "Sprach-User" oder auf die
Texte namhafter Schriftsteller.
Du meinst, dass man einer Grammatik verschiedene Korpora zugrundelegen
kann.
Post by Jakob Achterndiek
Welchem der Maßstäbe ich folgen will,
ist eine Geschmacks- und Gewissensentscheidung.
Wenn man es so angeht, leider ja. Sich über geschmackliche Beurteilungen
auffindbarer Äußerungen auseinanderzusetzen ist so ungefähr das Gegenteil
von Grammatik. So weit sind wir hier noch nicht, vorerst geht es noch um
die Festlegung des Korpus. Eine Einengung auf die "Texte namhafter
Schriftsteller" halte ich vielen Gründen für illegitim.

Wer bestimmt, ab wann ein Schriftsteller 'namhaft' ist? Wird es darüber
Konsens geben? Schreiben nicht auch weniger namhafte Schriftsteller
zuweilen gute Texte? Was ist mit der Masse gut schreibender Journalisten,
die müssen alle draußen bleiben? Und wieso vor allem soll die Grammatik
einer Sprache sich nur auf einen Teil ihrer schriftlichen Zeugnisse
beziehen und nicht auch die gesprochene Sprache behandeln?

Ein weiteres substantielles Argument wäre: Auch namhafte Schriftsteller
machen Fehler, gebrauchen nicht-standardsprachliche Beugungsformen,
Wörter und Formulierungen, stellen Bezüge missverständlich dar, haben
mal 'einen schlechten Tag' und es misslingt ihnen was. Es muss also doch
noch einmal feiner gesiebt werden, auch hier ist die Spreu vom Weizen zu
trennen, wenn auch weniger Spreu zusammenkommen mag als im Sprachgetümmel
der freien Wildbahn. Es ist also nichts gewonnen hinsichtlich der Frage:
Woher weiß der Grammatiker, dass eine sprachliche Äußerung okay ist und
er sie in seinem Korpus behalten darf?

_Meine_ Ausgangsfrage wäre eher, wozu man Grammatik betreibt. Da gibt es
etliche Möglichkeiten: Unterstützung des Lernens einer Sprache, die
Bewertung der Sprachrichtigkeit von sprachlichen Strukturen auf der Grund-
lage von Kriterien, welche die Grammatik erarbeitet hat. Hinzu kämen:
Unterstützung beim Übersetzen, bei der Sprachheilkunde, als Grundlagen-
wissenschaft für eine Reihe technischer Verfahren: OCR, automatisiertes
Erstellen von Abstracts, Bereitstellung der Strukturen für automatische
Übersetzung, automatische Spracherkennnung, KI usw. Weitere alltagsprak-
tische Umsetzungen sind denkbar: Hilfe beim Formulieren, beim Erstellen
schriftlicher Texte, Bereitstellung von Formulierungsalternativen,
Zuordnung bestimmter sprachlicher Erscheinungen zu sozialen Gruppen,
nicht zuletzt: Hilfe beim Verstehen …

Aufgrund der Eigenheiten ihres Untersuchungsgegenstands ist Grammatik
als Tätigkeit im Normalfall nicht anwendungsbezogen. Das Kerngeschäft
ist in der Tat das Herausarbeiten der grammatischen Strukturen einer
authentischen Sprache. Dabei dürfte gelten:

Die Grammatik einer Sprache im Sinne der dieser Sprache zugrundeliegenden
Regelsysteme ist umso besser, je erklärungsmächtiger sie ist. Eine
Grammatik, welche die Struktur nur weniger Sätze zu erklären in der Lage
ist und sehr viele andere, die nachweislich in großer Zahl vorkommen, als
'schlechtes Deutsch', 'idiomatisch', 'nicht analysierbar' usw. aussondern
muss, ist schlechter als eine Grammatik, die eine große Zahl vorkommender
Sätze in ihre Regelsysteme integrieren kann.
Post by Jakob Achterndiek
Dabei können sich unter den Grammatikern wie unter den Nur-Sprechern
sozusagen Sprachparteien bilden. Innerhalb jeder dieser Parteien lassen
sich die vorweg getroffenen Setzungen als Gesetze formulieren.
Denkfehler: In der Grammatik werden nicht Vorentscheidungen zu Gesetzen
erhoben. Dann ließen sich für eine Sprache beliebig viele Nonsense-Gramma-
tiken konstruieren. Es könnte etwa eine Grammatik entstehen, welche die
Regelhaftigkeit und sekundär auch die Qualität von Sätzen daran bemisst,
wie oft der Buchstabe 'e' in ihnen vorkommt - eine wenig erfolgversprechen-
de, aber denkbare Vorentscheidung. Auf wissenschaftlicher Ebene wäre jeder
nach sonst üblichen Maßstäben wohlgeformte Satz ohne 'e' eine Falsifikation
dieser Grammatik.

Die 'Gesetze' einer Grammatik sind die aus den beobachteten und zugrunde-
gelegten Äußerungen abgeleiteten Regularitäten. Diese sind ursprünglich
deskriptiv und können anschließen normativ in Stellung gebracht werden.
Die naive Vorstellung der meisten Sprachteilnehmer ist, Grammatik könne
immer eine eindeutige Antwort auf die Richtig-Falsch-Frage geben. Anrufer
bei den Sprachberatungsstellen sind oft enttäuscht, wenn diese eindeutige
Antwort nicht zu erhalten ist.

Der Rest hier ist unmaßgebliche Polemik und ein bisschen Comedy. Die
entscheidende Frage ist: Inwieweit ist auch für den traditionellen
Grammatiker das Grammatisieren empirisch? Alles weitere hier sind
Vermischungen unverstandener Voreinstellungen aus normativer Ausgangs-
position mit entsprechend unfruchtbaren Umsetzungen in einen pseudo-
grammatischen Diskurs, der, soweit richtig, zu nichts führt.

Balsamico ist immer willkommen, aber irgendwo muss man auch mal
aufhören, sich mit dem Zeug aus der Wasserpistole zu bespritzen und
sich in Ruhe klarmachen, was man hier eigentlich tut.

Gruß von: Ralf Joerres
U***@web.de
2018-05-17 14:48:38 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Wer bestimmt, ab wann ein Schriftsteller 'namhaft' ist? Wird es darüber
Konsens geben?
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Gute Werte von 'namhaft' erreichen Schriftsteller, die
noch lange nach ihrem Ableben von einer breiteren
Öffentlichkeit gelesen werden.

Hilft den jeweiligen Schriftstellern, Verbänden und Verlegern
aber auch kaum weiter.

Gruß, ULF
Sergio Gatti
2018-05-17 15:17:55 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Und wieso vor allem soll die Grammatik
einer Sprache sich nur auf einen Teil ihrer schriftlichen Zeugnisse
beziehen und nicht auch die gesprochene Sprache behandeln?
Gute Frage, insbesondere für die Sprachen und Dialekte, die
nur gesprochen werden.
U***@web.de
2018-05-17 15:29:40 UTC
Permalink
Post by Sergio Gatti
Post by Ralf Joerres
Und wieso vor allem soll die Grammatik
einer Sprache sich nur auf einen Teil ihrer schriftlichen Zeugnisse
beziehen und nicht auch die gesprochene Sprache behandeln?
Gute Frage, insbesondere für die Sprachen und Dialekte, die
nur gesprochen werden.
Wobei ich meine, ich hätte mal
gehört, zu einer Vollsprache brauche man u.a.

- ein Regelwerk,
- Vollsprachenbewußtsein der Sprecher und
- Verschriftlichung.

Gruß, ULF
Ralf Joerres
2018-05-17 20:48:58 UTC
Permalink
Post by U***@web.de
Post by Sergio Gatti
Post by Ralf Joerres
Und wieso vor allem soll die Grammatik
einer Sprache sich nur auf einen Teil ihrer schriftlichen Zeugnisse
beziehen und nicht auch die gesprochene Sprache behandeln?
Gute Frage, insbesondere für die Sprachen und Dialekte, die
nur gesprochen werden.
Wobei ich meine, ich hätte mal
gehört, zu einer Vollsprache brauche man u.a.
- ein Regelwerk,
- Vollsprachenbewußtsein der Sprecher und
- Verschriftlichung.
Nicht um mich lustig zu machen (Volldackel, Halbdackel usw.), aber
was soll eine Vollsprache sein? Für mich fängt eine Sprache an, zu
existieren, sobald vermutlich ab 2 Menschen dazu in der Lage sind,
sich über ein Zeichensystem zu verständigen. Es gab (und gibt?)
seltene Fälle, in denen Geschwister ihr eigenes (Laut-)Sprachensystem
als Quasi-Geheimsprache entwickelt haben, die Außenstehenden absolut
unverständlich war. Soll das keine Sprache gewesen sein? In jeder
Familie gibt es in der Kommunikation mit Kindern familieninterne Wörter,
deren Bedeutungen sozusagen ausverhandelt werden. Sollen das keine
Wörter sein? Da Du davon angefangen hattest: Ich habe jetzt von einem
männlichen Zwillingspaar gelesen, das seine eigene Sprache 'Umeri' zu
einer 'Vollsprache' mit eigenem Alfabet ausgebaut hat und diese auch im
Erwachsenenalter noch weiter entwickelt. Sogar eine Rechtschreibreform
haben die beiden sich schon gegönnt, also wenn das nicht das Nonplusultra
einer hochentwickelten Sprache ist, dann weiß ich es nicht. ;)
(Naja, es war in Wirklichkeit nur die Umstellung aufs Latein-Alfabet,
damit sie ihre Sprache auch tippen konnten.)

Was ich damit nur sagen will: Auch die Definition einer scheinbar
so trivialen Sache wie einer Sprache liegt nicht auf der Straße. Es
scheint jedenfalls festzustehen, dass die Ausbildung der neuronalen
Strukturen, mit denen Sprache erlernt werden kann, in einem sehr
frühen Alter angelegt werden muss, sonst ist der Zug abgefahren. Ein
anderes Zwillingspaar (2 Mädchen) war sozial stark isoliert und hatte
seine Privatsprache als Notlösung erfunden, um überhaupt kommunizieren
zu können. Diese war nie auf dem Stand der beiden 'Umeri'-Erfinder, wie
Linguisten herausfanden. Die Umeri-Brüder entwickelten ihre Sprache
untereinander, waren aber sozial in ihre englisch- und irischsprachige
Umgebung integriert und entwickelten eine normale Sprachfähigkeit.
Die beiden Mädchen lernten später nie richtig Englisch sprechen.
Ähnliche Geschichten kennt man von sog. Wolfskindern.

Was ich aus diesen Geschichten lerne: Die Sprache eines Menschen ist in
jedem Fall eine in sehr hohem Maße individuelle, biographisch geprägte
Fertigkeit. Es ist nicht überraschend, dass die Maßstäbe für Sprach-
richtigkeit sich von Individuum zu Individuum massiv unterscheiden.

Dass wir in aller Selbstverständlichkeit zu glauben wissen, was eine
Sprache ist, beruht auf Illusion und Banalisierung.

Gruß Ralf Joerres
Christian Weisgerber
2018-05-17 21:18:07 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Post by U***@web.de
Wobei ich meine, ich hätte mal
gehört, zu einer Vollsprache brauche man u.a.
- ein Regelwerk,
- Vollsprachenbewußtsein der Sprecher und
- Verschriftlichung.
Nicht um mich lustig zu machen (Volldackel, Halbdackel usw.), aber
was soll eine Vollsprache sein?
Vermutlich eine Ausbausprache.
https://de.wikipedia.org/wiki/Abstand_und_Ausbau#Ausbausprache
--
Christian "naddy" Weisgerber ***@mips.inka.de
U***@web.de
2018-05-18 09:31:15 UTC
Permalink
Moin,
Post by Christian Weisgerber
Post by Ralf Joerres
Post by U***@web.de
Wobei ich meine, ich hätte mal
gehört, zu einer Vollsprache brauche man u.a.
- ein Regelwerk,
- Vollsprachenbewußtsein der Sprecher und
- Verschriftlichung.
Nicht um mich lustig zu machen (Volldackel, Halbdackel usw.), aber
was soll eine Vollsprache sein?
Vermutlich eine Ausbausprache.
https://de.wikipedia.org/wiki/Abstand_und_Ausbau#Ausbausprache
Nein, denn den größeren Grad der Selbständigkeit hat https://de.wikipedia.org/wiki/Abstand_und_Ausbau#Abstandsprache

Oder gleich die Hochsprache nach Bossong. https://de.wikipedia.org/wiki/Abstand_und_Ausbau#Abstandsprache_und_Kulturdialekt_im_Sinne_von_Bossong

Gruß, ULF
Sergio Gatti
2018-05-18 08:37:55 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Post by U***@web.de
Post by Sergio Gatti
Post by Ralf Joerres
Und wieso vor allem soll die Grammatik
einer Sprache sich nur auf einen Teil ihrer schriftlichen Zeugnisse
beziehen und nicht auch die gesprochene Sprache behandeln?
Gute Frage, insbesondere für die Sprachen und Dialekte, die
nur gesprochen werden.
Wobei ich meine, ich hätte mal
gehört, zu einer Vollsprache brauche man u.a.
- ein Regelwerk,
- Vollsprachenbewußtsein der Sprecher und
- Verschriftlichung.
Nicht um mich lustig zu machen (Volldackel, Halbdackel usw.),
Ich dagegen kann darüber nur lachen und feststellen, dass
die Sprache der Ilias und der Odyssee nach diesen Kriterien
keine Vollsprache wäre.

- Keine Verschriftlichung, denn ursprünglich wurden diese
Werke nur mündlich vorgetragen.
- Kein Regelwerk bzw. nur ein unbeschriebenes Regelwerk, da
es noch keine Grammatiker gab.
U***@web.de
2018-05-18 13:40:15 UTC
Permalink
Post by Sergio Gatti
Post by Ralf Joerres
Post by U***@web.de
Post by Sergio Gatti
Post by Ralf Joerres
Und wieso vor allem soll die Grammatik
einer Sprache sich nur auf einen Teil ihrer schriftlichen Zeugnisse
beziehen und nicht auch die gesprochene Sprache behandeln?
Gute Frage, insbesondere für die Sprachen und Dialekte, die
nur gesprochen werden.
Wobei ich meine, ich hätte mal
gehört, zu einer Vollsprache brauche man u.a.
- ein Regelwerk,
- Vollsprachenbewußtsein der Sprecher und
- Verschriftlichung.
Nicht um mich lustig zu machen (Volldackel, Halbdackel usw.),
Ich dagegen kann darüber nur lachen
Dann mach Dich lächerlich.
Post by Sergio Gatti
und feststellen, dass
die Sprache der Ilias und der Odyssee nach diesen Kriterien
keine Vollsprache wäre.
- Keine Verschriftlichung, denn ursprünglich wurden diese
Werke nur mündlich vorgetragen.
Ich wollte nie in Abrede stellen, daß
die Verschriftlichung der mündlichen Sprache zeitlich
nachfolgte. In Regionen mit ausgeprägtem Verwaltungswesen,
das der Sprache auch zeitlich nachfolgte, darf man
von Hochsprachen Verschriftlichung erwarten.

Fragt sich, ob es vor der Verschriftliuchung Hochsprachen gab.
Post by Sergio Gatti
- Kein Regelwerk bzw. nur ein unbeschriebenes Regelwerk, da
es noch keine Grammatiker gab.
Ohne Verschriftlichung wäre deren Arbeit auch erschwert gewesen.
Dennoch - begib Dich zu Schreibunkundigen,
meinetwegen zu Tuareg, die Tamascheq nie schrieben oder
lasen, jedoch als Alleinalltagssprache nutzen, und versuch zu
lernen.

Sollte einer mit Fremdsprachenkenntnissen dabeisein,
wird er Dir schon sagen können:

"Dieser Satz war falsch. Er würde
soviel bedeuten wie : Meinige Singularkamel
morgen durch Wasser ausgegessen gewesen."
Jakob Achterndiek
2018-05-17 19:13:30 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Zur Sache selbst: Grammatik ist eine ideologie-fixierte Wissenschaft.
Nein. Grammatik ist eine empirische Wissenschaft. [..]
Doch. Grammatik ist eine ideologie-fixierte empirische Wissenschaft.
Post by Jakob Achterndiek
Dabei können sich unter den Grammatikern wie unter den Nur-Sprechern
sozusagen Sprachparteien bilden. Innerhalb jeder dieser Parteien lassen
sich die vorweg getroffenen Setzungen als Gesetze formulieren.
Denkfehler: In der Grammatik werden nicht Vorentscheidungen zu Gesetzen
erhoben. Dann ließen sich für eine Sprache beliebig viele Nonsense-Gramma-
tiken konstruieren. [..]
Denkfehler: Du darfst dir jeden beliebigen Nonsens ausdenken; aber du
darfst dann nicht behaupten, das sei der Nonsens deines Kontrahenten,
mit dem du ihn widerlegen kannst.

Für die weitere Diskussion eine kleine Wegweisung: Der
Gardinen-Professor hatte etwas über den Zusammenhang zwischen der
Vernunft der Welt und der Vernunft einer Sprache philosophiert. Diesen
Gedanken mag ich bei allen Erörterungen über die Maßstäbe zu einer
Grammatik nicht vernachlässigen.
Balsamico ist immer willkommen, aber irgendwo muss man auch mal
aufhören, sich mit dem Zeug aus der Wasserpistole zu bespritzen [..]
Wer tut denn aber auch so etwas !? :(

Statt dessen ein Schwank aus meinem Leben:
Unser Sohn hat als Kleinkind so auffallend lange nicht gesprochen, daß
seine Großmutter darüber schon richtig in Sorge war. Er konnte sich
stattdessen mit uns, den Eltern, und seinen Schwestern mühelos mittels
angesungener Lied-Melodien (auf da-daa-da) verständigen. Ich weiß nicht
mehr genau wie, aber es klappte zu gemeinsamer Zufriedenheit; man hätte
unter Umständen sogar eine ganz bescheidene Mini-Grammatik dazu
schreiben können, eine "Kantatik" sozusagen. - Ja, freilich: empirisch.
Irgendwann war ich mit ihm für ein paar Tage zu Besuch in der Familie
meiner Schwester. Da klappte die Verständigung dann nur über mich als
Dolmetscher, was zur Folge hatte, daß das Kind ein oder zwei Tage nicht
wirklich glücklich dort war - bis zu dem Morgen, da meine Schwester in
unserer Gegenwart ihren Staubsauger hervorholte und schnell ein paar
Krümel unter dem Frühstückstisch wegsaugte. Da sprach dieser Sohn seinen
ersten Satz: "So was hat Mutti auch." - Er hat danach etliche Tage, als
müsse er Versäumtes nachholen, so ausgiebig (und in vollständigen
Sätzen) geplaudert, daß meine Schwester ihm ein Stückchen Schokolade
versprach, wenn er nur mal für fünf Minuten den Schnabel halten könne.
Siehst du: Das läßt mich auf die Vernunft der Welt und die Vernunft
der Sprache und auf beider Kongruenz vertrauen. ;)
--
j/\a
Jakob Achterndiek
2018-05-17 22:08:10 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Siehst du: Das läßt mich auf die Vernunft der Welt und die Vernunft
der Sprache und auf beider Kongruenz vertrauen. ;)
Als Nachtrag und Ergänzung zum Thema schnell dieser Hinweis auf das
Buch von Wolfram Eilenberger, den ich eben auf 3sat im Gespräch mit
Dennis Scheck gehört habe.
<https://www.klett-cotta.de/media/35/Buch_Eilenberger_ZeitDerZauberer_Reader_2018.pdf>

Gruß
j/\a
Gunhild Simon
2018-05-18 05:53:32 UTC
Permalink
Am Donnerstag, 17. Mai 2018 21:13:40 UTC+2 schrieb Jakob Achterndiek:
...
Post by Jakob Achterndiek
Unser Sohn hat als Kleinkind so auffallend lange nicht gesprochen, daß
seine Großmutter darüber schon richtig in Sorge war. Er konnte sich
stattdessen mit uns
... verständigen. Ich weiß nicht
Post by Jakob Achterndiek
mehr genau wie, aber es klappte zu gemeinsamer Zufriedenheit; man hätte
unter Umständen sogar eine ganz bescheidene Mini-Grammatik dazu
schreiben können...
Da klappte die Verständigung dann nur über mich als
Post by Jakob Achterndiek
Dolmetscher, was zur Folge hatte, daß das Kind ein oder zwei Tage nicht
wirklich glücklich dort war - bis zu dem Morgen, da meine Schwester in
unserer Gegenwart ihren Staubsauger hervorholte und schnell ein paar
Krümel unter dem Frühstückstisch wegsaugte. Da sprach dieser Sohn seinen
ersten Satz: "So was hat Mutti auch." - Er hat danach etliche Tage, als
müsse er Versäumtes nachholen, so ausgiebig (und in vollständigen
Sätzen) geplaudert, daß meine Schwester ihm ein Stückchen Schokolade
versprach, wenn er nur mal für fünf Minuten den Schnabel halten könne.
Siehst du: Das läßt mich auf die Vernunft der Welt und die Vernunft
der Sprache und auf beider Kongruenz vertrauen. ;)
So ähnlich war die Sprachentwicklung meiner ältesten Tochter
auch.

Alle waren von der Verständigung ausgeschlossen bis auf einen
intimen Personenkreis: Vater, Mutter, liebster Onkel.

Sie pflegte eine Geheimsprache mit eigenen, nicht unlogischen
Strukturen.
Zum Beispiel ein End-t in der 3. Pers. Sing. bei Modalverben.
Ich beschäftigte mich damals mit Zweitspracherwerb und war
sogar ein bißchen fasziniert von meinem eigensinnigen Kind.
Nur meine Umgebung unkte über geistige Behinderung und
Sprachtherapie. Die Folge war eine Odyssee zum
Werner-Otto-Institut.
Das Kind stellte sich daselbst absolut dumm und unwillig.
Als ob die Frage, ob sie "nane" statt "banane" sagte,
irgendetwas über ihre Sprachentwicklung ausgesagt hätte!

Irgendwann, jenseits der drei Jahre - sie war schon im
Kinderladen (wo dies toleriert wurde) - gab sie ihre
Geheimsprache auf und redete mit normalen Strukturen und mit
verständlichen Vokabeln. Ich glaube, daß es wichtig wurde,
sich mit den *Kindern* zu verständigen.

Es gab noch eine Parallele:
Kaum saß sie im Auto, später, plauderte sie
pausenlos, während die andere, jüngere, sprachunauffällige
sofort beim Anlassen des Motors in Tiefschlaf fiel.

Gruß
Gunhild
Florian Ritter
2018-05-18 15:15:43 UTC
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Post by Gunhild Simon
Irgendwann, jenseits der drei Jahre - sie war schon im
Kinderladen (wo dies toleriert wurde) - gab sie ihre
Kinderladen - 'sch gloob's glei...
Post by Gunhild Simon
Geheimsprache auf und redete mit normalen Strukturen und mit
verständlichen Vokabeln. Ich glaube, daß es wichtig wurde,
sich mit den *Kindern* zu verständigen.
Kaum saß sie im Auto, später, plauderte sie
pausenlos, während die andere, jüngere, sprachunauffällige
sofort beim Anlassen des Motors in Tiefschlaf fiel.
Ich kotzte als Kind gerne in Automobile - FR

Heinz Lohmann
2018-05-16 11:17:03 UTC
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Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das Partizip
einen Zustand, wie "aus".
Das Zustandspassiv dazu lautet so:

"Sein Telefon ist tagsüber immer abgestellt, damit er in Ruhe arbeiten
kann."

Aber wenn du das Partizip wie ein Adjektiv betrachtest, wird es recht
gegenwärtig.

Andere Beispiele dafür:
1.
Sie hat/trägt seit gestern die Haare blond gefärbt. Früher waren sie
schwarz.
2.
Er hat seine Wohnung nie abgeschlossen. Sie ist immer offen.
3.
Wenn ich verreise, habe ich immer eine Zahnbürste eingepackt/im Koffer.

Das wäre ein Satzmuster wie:
Ich habe etwas (Akk-Obj) wie (qualitative Ergänzung).

Vielleicht ist es regionaler Sprachgebrauch, aber ich kann das zumindest
als gefühltes Präsens nachvollziehen. Der Akzent liegt auf dem
gegenwärtigen Zustand.
--
mfg
Heinz Lohmann
Tamsui, Taiwan

Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch, wenn man keine hat. W.B.
Ralf Joerres
2018-05-16 12:52:07 UTC
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Post by Heinz Lohmann
Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das Partizip
einen Zustand, wie "aus".
"Sein Telefon ist tagsüber immer abgestellt, damit er in Ruhe arbeiten
kann."
Aber wenn du das Partizip wie ein Adjektiv betrachtest, wird es recht
gegenwärtig.
1.
Sie hat/trägt seit gestern die Haare blond gefärbt. Früher waren sie
schwarz.
2.
Er hat seine Wohnung nie abgeschlossen. Sie ist immer offen.
3.
Wenn ich verreise, habe ich immer eine Zahnbürste eingepackt/im Koffer.
Ich habe etwas (Akk-Obj) wie (qualitative Ergänzung).
Vielleicht ist es regionaler Sprachgebrauch, aber ich kann das zumindest
als gefühltes Präsens nachvollziehen. Der Akzent liegt auf dem
gegenwärtigen Zustand.
Ja danke, schöne Beispiele auch. RJ
U***@web.de
2018-05-16 12:24:24 UTC
Permalink
Moin,
Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das Partizip
einen Zustand, wie "aus".
Das soll (auch) die Gegenwart beschreiben?
Warum einfach à la

"Er stellt tagsüber immer....",

wenn es auch kompliziert geht?

Gruß, ULF
Ralf Joerres
2018-05-16 13:40:20 UTC
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Post by U***@web.de
Moin,
Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das Partizip
einen Zustand, wie "aus".
Das soll (auch) die Gegenwart beschreiben?
Warum einfach à la
"Er stellt tagsüber immer....",
wenn es auch kompliziert geht?
Hat nix mit kompliziert zu tun, man sagt es einfach so nicht, wenn man
das andere sagen will. 'Das andere' kommt einem

er lässt tagsüber immer das Telefon abgestellt

nahe. Den Satz mit 'er hat das Telefon abgestellt' gibt's nun mal, und
die Frage ist, was er bedeutet.

Interessant allerdings die Frage, was eigentlich genau der Unterschied
zwischen dem einfachen Präsens und dem 'hat ... abgestellt' ist.

Idee dazu: Das 'hat abgestellt' ist temporal präziser als das einfache
Präsens. Dass im Präsens-Satz der Telefon den ganzen Tag abgestellt ist,
ist eher eine sachlogische Schlussfolgerung: Ich stell's ab, dann ist es
natürlich abgestellt, bis ich's wieder anstelle.

Das präsentische Perfekt ähnelt auch dem

das Telefon bleibt bei mir tagsüber abgestellt / aus
das Telefon ist bei mir tagsüber abgestellt / aus

Ich empfinde Sätze wie die folgenden als strukturell ähnlich

er hat das Auto in der Garage / vor dem Haus / um die Ecke stehen
die Bank hat bis 18 Uhr geöffnet
wir halten das Geschäft (noch) bis 22 Uhr geöffnet
wir haben heute nichts auf(bekommen)
er hat die Arme vor der Brust verschränkt
der Computer bleibt aus!

Es gibt also mehr als 'haben + Partizip 2' = Perfekt und 'werden +
Partizip 2' = Vorgangspassiv und 'sein + Partizip 2' = Zustandpassiv.
Als Thesen würde ich das so formulieren:

1. Es gibt neben den Standard-Hilfsverben weitere Verben, die sich
in der Art von Hilfsverben mit anderen infiniten Verbformen
(mit Infinitiven und Partizipien 2) verbinden. Viele wurden
hier genannt.

2. Die Annahme, dass haben/sein + Partizip 2 entweder eine perfektische
oder eine zustandspassivische Bedeutung haben, trifft nicht in allen
Fällen zu.

3. Es steht zu vermuten, dass auch 'werden + Partizip 2' nicht immer
vorgangspassivisch zu interpretieren ist. Das ist für Aufforderungen
im Passiv bereits beschrieben (jetzt wird geschlafen), es könnte
weitere Fälle geben.

Es kann vielleicht nicht schaden, so etwas im Hinterkopf zu behalten.
Nun könnte man schauen, was die Grammatiken dazu sagen. Da muss man viel
suchen, denn das sind Randthemen. Neulich stieß ich darauf, dass auch
Hans Glinz den sog. Absentiv bemerkt (der Graf ist reiten), er führt nur
für ihn keine Kategorie ein. Das aber ebenfalls nur als Streiflicht.

Gruß Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2018-05-16 17:32:02 UTC
Permalink
[... einige unkonventionelle Satzbeispiele ...]
1. Es gibt neben den Standard-Hilfsverben weitere Verben, die sich
in der Art von Hilfsverben mit anderen infiniten Verbformen
(mit Infinitiven und Partizipien 2) verbinden. Viele wurden
hier genannt.
2. Die Annahme, dass haben/sein + Partizip 2 entweder eine perfektische
oder eine zustandspassivische Bedeutung haben, trifft nicht in allen
Fällen zu.
3. Es steht zu vermuten, dass auch 'werden + Partizip 2' nicht immer
vorgangspassivisch zu interpretieren ist. Das ist für Aufforderungen
im Passiv bereits beschrieben (jetzt wird geschlafen), es könnte
weitere Fälle geben.
Es kann vielleicht nicht schaden, so etwas im Hinterkopf zu behalten.
Nun könnte man schauen, was die Grammatiken dazu sagen. [..]
Einem (1) Grammatiker fällt dazu dieser lästerliche Vergleich ein:
Das ist linguistische Pathologie. Auch die Forschung am lebenslustigen
Krüppel kann interessante Ergebnisse liefern - und für den einen oder
anderen mag sie wohl auch prickelnder sein als die klassische Anatomie
des gesunden Menschen. (Siehe auch: <http://www.buzemann.de/>)
--
;) j/\a
Stefan Schmitz
2018-05-16 18:15:03 UTC
Permalink
Post by U***@web.de
Moin,
Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das Partizip
einen Zustand, wie "aus".
Das soll (auch) die Gegenwart beschreiben?
Warum einfach à la
"Er stellt tagsüber immer....",
wenn es auch kompliziert geht?
Deine Version verlangt, dass er täglich neu und selbst das Telefon abstellt.
U***@web.de
2018-05-16 18:26:09 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Post by U***@web.de
Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Vielleicht sollte ich auf ein anderes Beispiel umsteigen. Wie wär's
mit
Er hat tagsüber immer das Telefon abgestellt, um in Ruhe arbeiten
zu können.
Das halte ich für ein nur scheinbares Perfekt. Da kennzeichnet das Partizip
einen Zustand, wie "aus".
Das soll (auch) die Gegenwart beschreiben?
Warum einfach à la
"Er stellt tagsüber immer....",
wenn es auch kompliziert geht?
Deine Version verlangt, dass er täglich neu und selbst das Telefon abstellt.
Nicht ganz unüblich. Morgens betreibt er vielleicht noch
Anrufbarkeit, irgendwann setzt er dem ein Ende.
Täglich aufs Neue.

Gruß, ULF
Ralf Joerres
2018-05-13 19:52:23 UTC
Permalink
Post by Helmut Richter
Post by Ralf Joerres
Es geht um den Satz: 'Er hat jetzt die Wohnung wieder vermietet.'
... welches Tempus hätten wir da?
Da die Betonung darauf liegt, dass die Wohnung *jetzt* vermietet ist, ist
der Satz einschließlich des Tempus richtig und kaum ein anderes denkbar.
Ja welches Tempus ist es denn?
Post by Helmut Richter
Ginge es nur um die Aussage, dass eine Vermietung stattgefunden hat, egal
Danach vermietete er die Wohnung wieder.
Hier ein Perfekt zu setzen, käme mir leicht umgangssprachlich vor, einem
N-Deutschen vielleicht stark ugs.
Ja, ich könnte hier ohne weiteres sagen: Ich hab die Wohnung eine Weile
nicht vermietet, danach hab ich meine Schwester zum Freundschaftspreis
drin wohnen lassen, und *da*nach hab ich sie über einen Makler an ein Studentenpaar vermietet.

Ein Präteritum wäre bei uns im Mündlichen für diese Sätze nicht denkbar.
Post by Helmut Richter
Aber sind das nicht Standardfälle für den allernormalsten Gebrauch dieser
Tempora? (Ich setze mich nicht in die Nesseln und sage "den einzig
richtigen Gebrauch" - es ist komplexer.)
Ich warte mal noch ab und werde deinen 'allernormalsten Gebrauch'
vielleicht später auf die Probe stellen. (Heute nicht mehr.)

Bis dann: Ralf Joerres
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