Post by Helmut RichterEntweder man macht es wie in den englischsprachigen Ländern und lässt
viele Schreibungen zu (organize vs. organise, gaol vs. jail, ...),
So machen es die englischsprachigen Länder ja nicht.
Post by Helmut Richterdann darf man sich eigentlich nicht über die RSR aufregen, die trotz
Altschrieb, Neuschrieb und verschiedenen Mischschrieben weit weniger
Variantion enthält.
Oder man besteht auf einer wirklich einheitlichen Schreibung
-- machens die frankophonen Länder so?
Nein.
Post by Helmut Richter-- dann darf man sich eigentlich nicht über "Rechtschreibstrafrecht"
in Schulen aufregen, denn es ist das Mittel der Wahl, die
Einheitlichkeit durchzusetzen.
Man soll keinen verkrachten Architekten nachstreben, deren einziges
Interesse es ist, anderen Leuten das Wort im Munde herumzudrehen.
Der wesentliche Unterschied bezüglich den Anglophonen und den
Germanophonen ist, daß die Engländer (jetzt mal vereinfacht so
ausgedrückt) von ihrer Mentalität her niemals die Rechtschreibung per
Staatsgremium regulieren würden, wohingegen die Deutschen (gleiche
Vereinfachung) niemals auf ein Staatsgremium zur Regulierung verzichten
würden.
Einer der besten Sprüche, die ich im Netz gelesen habe, lautet: "Der
Deutsche fühlt sich nicht wohl, wenn etwas nicht ausdrücklich erlaubt
oder nicht ausdrücklich verboten ist."
Selbst die Franzosen, die es bekanntlich seit Jahrhunderten gewohnt
sind, sich stets nur zum Zentrum des Universums zu orientieren -- Paris,
nämlich -- sind mit ihrer (deutlich kleineren) Rechtschreibreform
erheblich behutsamer umgegangen als die Deutschen. Als das Murren im
Volk lauter wurde, hat die Akademie schnell eingelenkt und verfügt, daß
fürderhin beide Versionen gültig seien, die alte und die neue.
Ein Kompromiß dieser Art ist im Untertanenstaat Deutschland nicht
vorstellbar. Bis heute legt die Staatsbürokratie auf Unterwerfungsgesten
der Untertanen den allergrößten Wert, und deshalb muß sie gegen
Insubordinationen wie etwa die Verwendung des ß nach kurzen Vokalen mit
aller Entschlossenheit einschreiten, so jedenfalls ihr
Selbstverständnis.
Post by Helmut RichterIch wäre froh drum, man hätte die unselige RSR nie angepackt, wo's doch
ohne sie problemlos ging. Aber weder hat sie erstmalig zu
"Rechtschreibstrafrecht" in Schulen geführt (Rechtschreibung wurde schon
in meiner Schulzeit benotet), noch hat sie besonders viel
Uneinheitlichkeit hinterlassen -- zwar mehr als vorher, aber nicht
besonders viel im Vergleich etwa mit englischer Rechtschreibung.
Das Statement der Geschäftsführerin des Rechtschreibrats liest sich
durchaus wie ein Eingeständnis des Scheiterns.
Die Rechtschreibung erodiert seit vielen Jahren langsam, unter anderem
deswegen, weil man den Schülern seit etwa 40 Jahren einbleut,
orthographisch richtig zu schreiben sei nicht wichtig. Diese Saat ist
aufgegangen, und wir lasen ihre Früchte bereits vor der
Rechtschreibreform.
Die verkorkste Rechtschreibreform aber hat diese Entwicklung
beschleunigt. In praktisch allen Texten sind die Fehlerzahlen gestiegen,
somit funktioniert die Zentrierung der allgemeinen Rechtschreibung an
fehlerfreien und somit auf eine Art musterhaften Texten nicht mehr.
Früher war ein Schreibfehler in einem "guten Buch" eine Seltenheit,
heute findet sich auf jeder Seite mindestens einer. Daß der "Spiegel"
früher "das" und "daß" verwechselt hätte -- undenkbar! Heute findet man
das öfter.
Das jetzt mit einem "Ist doch nicht so schlimm!" zu kommentieren,
"Fukushima ist schlimmer!" erinnert mich an den Witz von dem Schüler,
der sein Zeugnis auf den Tisch legte mit den Worten: "Die Hauptsache ist
doch, wir sind alle gesund." Wer sich das Argument "Es gibt größere
Katastrophen" zu eigen macht und alles drunter für minder schwer
erachtet, der kann in seinem Leben eigentlich keinerlei Mißstände mehr
angehen.