Post by Dorothee Hermann*seufz*
"Schon meine Mutter (sie wäre heuer 110 Jahre alt) sagte bei
Gelegenheit etwas wie: "Das haben wir geschonken gekrochen."
Aber zu ihrer Zeit war der Duden noch zu prüde für so etwas."
|Prüderie bezeichnet eine sehr empfindliche Einstellung und
|Engherzigkeit gegenüber Sitte und Moral. Pierers Universallexikon
|von 1861 beschreibt Prüderie als „auf eine übertriebene und
|affektierte Weise sittsam; scheinspröde, zimperlich“.
|Im weiteren Sinne bezeichnet Prüderie eine Geisteshaltung, die
|das Ziel hat, sexuelle Äußerungen jeglicher Art in der Öffentlichkeit
|und teilweise auch im Privatbereich weitestgehend auszuschließen.
|Dies betrifft vor allem die Darstellung oder auch nur Andeutung von
|Erotik in Ton- und Bildform, Mode, Massenmedien, Literatur,
|historischen Zeugnissen, Konversation.
Für eine witzige Formulierung wie "geschonken gekrochen" findest Du
den Duden "prüde", weil er diese nicht aufgenommen hat?
Das sollten wir jetzt mal ein bißchen geraderücken.
(Die Verwechslungen der Zitatebenen lasse ich mal unkorrigiert.)
Wie sehr viele Wörter haben auch "prüde" und "Prüderie" mehrere
Bedeutungs-Schichten. Eine davon ist über die Zeiten weitgehend
konstant geblieben: Sie benennt eine scheue bis ängstliche Zurück-
haltung bis hin zur Abneigung in erotisch-sexueller Hinsicht.
Eine zweite Bedeutungs-Schicht hat sich mit den Zeiten stark
verändert und enthält eine moralische Wertung jener Zurückhaltung.
Diese Bedeutungs-Schicht steckt schon in Pierers Übernahme des
französischen Wortes und überwiegt heute stark, wie in dem oben
zitierten Artikel der Wikipedia.
Mit Bezug auf den Duden alter und neuer Provenienz kann "prüde"
doch wohl nur in einer übertragenen Bedeutung gemeint sein. Strei-
chen wir also Erotik und Sexualität, dann bleibt die "Zurückhaltung"
in den Stufen von sittsam bis hysterisch.
Und nun muß ich ja wohl nicht weiter erklären, daß sich der Duden
zu Zeiten meiner Mutter noch gegen jegliche plumpe Anmache mittels
frecher oder gar vulgärer Wortschöpfungen fein sittsam zurückgehalten
hat, wohingegen er heute den Anschein erweckt, als übernähme er gierig
alles Neue, Aufregende und habe dabei die Grenzen der Tradition, der
Moral und Sittsamkeit als irrationale, die Freiheit des Individuums
und die Entwicklung der Sprache einengende "viktorianische" Prüderie
abgestreift.
Das immer gegenwärtige leichte Augenzwinkern ;) wirst Du auch bei
diesen im Grunde ernsthaft gemeinten Erwägungen nicht ganz übersehen.
Es ist der "homo ludens" des Johan Huizinga, der der "Prüderie" der
gar zu ernsthaften Zeitgenossen (samt ~genossinnen) immer wieder gern
ein paar kleine Frivolitäten entgegensetzt.
--
j/\a